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Hier die Kritik zum DOB-Parsifal 2016.
Die Regie von Philipp Stölzl ist eine sehenswerte Sache. Mit kleinen aufmüpfigen anti-religiösen Spitzen, OK, aber warum nicht? Wagners parfümierter Knappheitsspätstil hält das aus. Wie gesagt, sehenswert – auch, was die darstellenden Sänger angeht, vom großartig soignierten Matti Salminen mit Greisengehstock bis zu den draufgängerischen Damen, die Klaus Florian Vogt im 2. Akt zusetzen. Klaus Florian Vogt sieht im weißen Hemd großartig aus.
Klaus Florian Vogt: Ein Parsifal mit lohengrinesker Silbertrompete im Hals, der die feineren Farben fehlen. Klaus Florian Vogts Tenor mixt jünglingshafte Kraft und Schmalspurtimbre. Im dritten Akt schlussendlich mit lyrisch bestechenden Stellen. Aber ich bekenne, dass mich keine akute Sehnsucht treibt, den Klaus Florian Vogt des 2. Aktes gleich morgen wieder zu hören.
Evelyn Herlitzius: Gibt der Kundry würzige Schärfe. Ist spätestens bei den beiden Fis von „Entbrennen ihn sengend überfloss“ auf Betriebstemperatur. Ist bei „Irre, irre“ von großer Wirkung, aber man merkt die Anstrengung. Spießt das etwas fahle H in „lachte“ wie auf einer heißen Grillzange auf. Wird im 3. Akt der Zwangstaufe unterzogen.
Matti Salminen: Gurnemanz. Mehr Deklamation, weniger Singen. Doch Salminens Bass ist immer noch von umwerfender stimmlicher Rüstigkeit, immer noch eichenhaft kraftvoll in der Höhe (A’s, H’s im 1. Akt). Es ist eine unvergleichliche Demonstration einzigartiger, bisweilen geradezu salopp-souveräner Deklamationskunst eines altgedienten Ausnahmebasses im vorgerückten Alter. Den 3. Akt schmeißt Salminen ganz alleine.
Doch meinem Gefühl nach der balsamischen Gurgel René Papes summa summarum nicht ganz ebenbürtig. Aber das ist sicherlich eine Geschmackssache. Ich fand Salminen als Marke immer top of the tops.
Thomas Jesatko: Klingsor. Gefiel mir nicht gut.
Alejandro Marco-Buhrmester: Guter Amfortas im 1. Akt. Sehr guter Amfortas im 3. Akt. Ist hauptsächlich bemerkenswert durch sein kraftvolle Stimme und den packenden Vortrag.
Die Riege der Blumenmädchen umfasst Hulkar Sabirova (die flotte Dame aus Das Mädchen mit den Schwefelhölzern), Martina Welschenbach, Rachel Hauge, Hila Fahima, Annie Rosen und Dana Beth Miller. Der Chor famos.
Was macht Donald Runnicles im Graben? Ja, aber Herr Runnicles!! Die Langsamkeit des Abendmahlmotiv im Vorspiel („sehr langsam“): besitzt keinen Orchesterzauber. Das Glaubensmotiv: hat lauwarmes Pathos. Die Stürme, die im Schillertheater vor drei Wochen im Orchester wüteten: wichen heute gediegenem Orchestermelos. Die As-Dur-Schauer: nüscht los. Die h-moll-Turbulenzen im Vorspiel zum 2. Akt: auch nix. Die Verwandlungsmusiken: scheinen in wildes Gewurschtel ausgeartet. Einzig das gelockerte Tempo Runnicles‘ in der Klingsor- und Blumenmädchenszene und ein paar Sachen aus dem 3. Akt gefallen mir. Runnicles‘ Wagner hat keine Ausstrahlung. Die hohen Geigen im 3. Akt hatten ein paar Mal ein kitschiges, gänzlich unberlinerisches Vibrato (z. B. Vorspiel, „dolcissimo“), und im 3. Akt gabs generell fast kuriose Blechschnitzer, grad als hätten die Musiker in der Pause zu viel Bier getrunken. Ich muss wohl auf den Rattle-Ring – Herbst 2013 – warten, um an der Deutschen Oper 1a Wagner zu hören. Für Rattles Ring musste man übrigens 15 Monate im voraus zahlen, das sind Zustände wie bei der Lebensversicherung.
Textlich ist der Parsifal übrigens eine Labsal im Vergleich mit der Walküre.
Meine Frau sagt zum Parsifal: „Da ist bei mir Null Toleranzschwelle“. Also bin ich alleine in der DOB.
Sehr viel Applaus für Salminen, viel für Herlitzius und Vogt. Habe ich das recht gesehen oder ist Amfortas Alejandro Marco-Buhrmester nicht zum Schlussapplaus erschienen?
Fazit Kritik/Review DOB Parsifal: Sängerisch viel Sonne und wenig Wolken, orchestermäßig eher durchwachsen, die Regie Philipp Stölzls möbelt die Altersmoderatheit des Parsifal sozusagen mit einfallsreichem, nur ganz selten dreistem Regiehändchen auf.
Die angeblichen Buhstürme der Premiere konnte ich heute Abend nicht nachvollziehen. Stölzls mit ein paar Sottisen aufgepeppter Hyperrealsimus war nun wirklich nicht skandalös. Im ürigen habe ich noch nie ein Bühnenbild gesehen, dass im wörtichen Sinne einen so „staubigen“ Eindruck gemacht hat. Die Behandlung und Führung der Chormassen gefiel mir außerordentlich.
Ja, Salminen ist immer noch der Größte. Gleich gut im 1. Akt und im Karfreitagszauber. Herlitzius und Alejandro Marco-Buhrmester sehe ich etwas kritischer.
Man sollte bei Runnicles nicht vergessen, dass die Staatskapelle, auf die Sie hier anspielen, an einigen Pulten einfach besser besetzt ist und dass die Staatskapelle und D.B. ein nun seit 20 Jahren eingespieltes Duo sind. Runnicles hat seine Sache heute Abend sehr gut gemacht. Im Vorspiel zum 3. Akt gab es eine grobe Schnitzer und im Vorspiel zum 1. Akt gelang die Balance zwischen den Bläsern überhaupt nicht, aber sonst gelang Runnicles ein faszinierender Parsifal.
Schade, dass es keinen Schwan gab.
Grüße
Oswald
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@kitschiges Vibrato/grobe Schnitzer
Gab es übrigens auch im Vorspiel zum 2. Akt.
Runnicles lässt oft mir zu sehr volles Rohr spielen. Die Passage zu Beginn des 3. Akts bevor Kundry rumschreit fand ich vom Orchester ganz ausgezeichnet. Die Stöhner Kundrys im 3. Akt habe ich schon prägnanter gehört als heute Abend von Evelyn Herlitzius :-)
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Was soll das? Diese endlose Kritik am Orchester der Deutschen Oper geht einfach auf die Nerven. Vielleicht sollten gewisse Leute einmal registrieren, dass man Wagner nicht nur so dirigieren kann wie es Herr Barenboim tut. Das Vorspiel zum 1. Akt wurde von den Musikern hervorragend gespielt, ebenso die Verwandlungsmusiken! Der 3. Akt war noch mal eine Steigerung und wurde von vorne bis hinten schlichtweg exzellent vom Orchester dargeboten.
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Eine lesenswerte Kritik. Können Sie etwas zum Tempo, das Runnicles wählte, sagen? Ist reines intereesse :-)
Klaus aus München
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@Tempo Parsifal
Bei Vorspiel/Ouvertüre/1. Akt schaue ich immer gerne auf die Uhr, und ich glaube der 1. Akt war 1:39:40 oder 1:39:30, was für den Parsifal eher ein Boulez-Tempo wäre als ein Knappertsbusch-Tempo.
Insgesamt war Runnicles in den getragenen Partien eher zügig und sehr unstet. Das Abendmahlsmotiv war schon „sehr langsam“, aber mit nervösem, unentschiedenen Fluss. Das Glaubensmotiv fand ich gleichfalls unstet, mit Rubati vor den sehr kräftig ausgeführten Zielnoten. Diese Rubati haben mich nicht überzeugt. „Sehr gehalten“ war es jedenfalls nicht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass das bei der dritten oder vierten Vorstellung weniger unstet und souveräner rüberkommt, da das Blech am letzten Donnerstag dann und wann alles andere als sattelfest klang.
Vorspiel 2. Aufzug: ebenfalls sehr rasch, vielleicht ein paar Ticken zu schnell für Wagners Bezeichnung „Kräftig, doch nie übereilt“.
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Die drei ersten Aufführungen haben dem Orchester sicherlich gut getan! Der DOB-Graben war gestern schon recht souverän, geklappert hat es eigentlich nicht, Melodiefluss sehr eingängig, richtige Riesenschnitzer hab ich aus dem Blech nur einen gehört. Kann bei über vier Stunden schon mal passieren. Manches – und das geht dann an Runnicles – war im Tempo aber nicht wirklich überzeugend, das hier genannte Vorspiel zum 2. Aufzug fand ich auch zu hastig, genauso wie die Verwandlung im 1. Aufzug. Hm, doch noch was ans Orchester, Intonation im Vorspiel zum 1. Aufzug war ausbaufähig.
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@Rattles Ring 15 Monate im voraus zahlen
Fand ich auch gewöhnungsbedürftig. Vermutlich wollte die DOB auf diese Weise den Exklusivitätsfaktor steigern. Bleibt zu hoffen, dass die Zinsen hörenswert sein werden
RB
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Hab den letzten Parsifal des Jahres besucht. Und mich nach der Kritik hier schon auf Salminen gefreut. Es sang aber Pesendorfer, der sich noch vor dem Vorspiel krankmelden lies, aber dennoch sang. Naja. Richtig gehört hat man die angekündigte Indisponibilität eigentlich nicht, man hatte bis auf zwei, drei Stellen nicht das Gefühl, dass er ohne Erkältung anders bzw. besser gesungen hätte. War auch nicht wirklich schlecht. Aber auch nichts besonderers. Mittelmäßig.
Herlitzius war sehr gut drauf, der zweite Akt hat mir – nicht nur wegen der Blumenmädchen – am besten gefallen (vllt auch, weil Pesendorfer Pause hatte). Vogt fand ich eigenartigerweise toll; klar, er singt immer gleich schön, hat mich aber nicht gestört, lag vllt auch am Pausen-Pils.
War zwar erst mein dritter Opern-Parsifal, aber irgendwann hätte ich doch mal gern den Schwan und/oder die Taube gesehen…
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Evelyn Herlitzius war tatsächlich „sehr gut drauf“. Das berühmte „lachte“ enttäuschte mich aber ein wenig, wenn ich ganz ehrlich sein soll: Es klang mir strohig und von unten hochgebogen. Alles andere aber allerste Sahne. Ihre bisweilen monierte tiefe Lage fand ich an einigen Stellen besonders appetitlich und gar nicht mit dem angeblich markierten Volumen, das mir letztens ein Bekannter weismachen wollte.
Jaja, Klaus Florian Vogt klingt nach Regensburger Domspatzen, doch dürfte es derzeit keinen Tenor geben, der sich ähnlich problemlos durch den Parsifal singt wie Vogt. Es gibt genug (Helden-) Tenöre, die den Parsifal wie einen Otello singen.
Ein Wörtchen zu Philipp Stölzl
Wie ich in einem Pausengespräch feststellen durfte, bin ich der einzige Opernfan, dem die DOB-Inszenierung durchweg gefallen hat. Ich wette mein Abo und meinen nächsten Pausenschnaps darauf, dass die Inszenierung das Zeug hat, sich 10 Jahre zu halten. Endlich mal ein Regisseur, der es wagt, die Bühne wieder mit Felsen vollzubauen und das auch noch mit Geschmack. Das Motto „Ab nach Oberammergau“ von der Julia Spinola in der FAZ trifft den Kern der durch und durch soliden und sogar schlitzohrigen Inszenierung nicht. Einen Hingucker finde ich jeweils die kurzen Szenen, die die Erzählungen Gurnemanz‘ visualisieren :-). Ich kann darüber schmunzeln, wenn ich während des Vorspiels zum 1. Akt Jesus höchstpersönlich sterben sehe oder der arme Tropf Klingsor sich resolut aber etwas verschämt entmannt.
„auch zu hastig“
Das Tempo vom 2. Akt war meinem Eindruck nach flott, aber absolut nicht zu schnell.
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Am Sonntag (5.) leider nicht mehr die Luxus-Besetzung.mit Salminen. Albert Pesendorfer OK.
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