Hans Werner Henze ist gestorben. Friede seinem Genie. Möge Phädra bald wieder auf dem Spielplan der Staatsoper auftauchen.

Heute war das Herbstwetter schöner als die Inszenierung und Petrus ein besserer Regisseur als Philipp Himmelmann, wobei ich anmerken muss, dass die Engel heute Abend NICHT himmlischer sangen als René Pape. Die Überraschung war Tamar Iveri. Ich meine nur in zweiter Linie Iveris aufsehenerregende Augenbrauen, in erster Linie Iveris Elisabetta. Beide, Iveria und ihre Elisabetta, klangen italienischer, als ich erwartet hatte. Ihr Sopran besitzt leidenschaftliches Gefühl. Über dem F, wo das Gefühl anfängt, klingt Iveri aufregend. Nettes, kleines, unruhiges Vibrato. Eine gute Verdistimme. Das einzige Manko ist vielleicht, dass Tamar Iveris Sopran in allen Registern ziemlich gleich timbriert ist, wenn das Timbre an sich auch recht komplex ist.

Noch mal zur Inszenierung: vor der Pause ist dieser Don Carlo doch von relativ monströser Langeweile. Danach wird’s besser, wahrscheinlich, weil die Geschichte so langsam ins Rollen kommt.

Fabio Sartori ist ein Beleg dafür, dass ein Kugelformat eine tolle Sache ist, wenn man mit einer resonanzreichen Tenorstimme Eindruck machen will. Die Regieanweisung an Sartori muss geheißen haben: „Einfach nix machen, auf keinen Fall sich aktiv in die Personenführung einbringen“. Tamar Iveri: singt „Oh, ich glaube, er stirbt“. Fabio Sartori: sitzt neben ihr, als wäre er voll und ganz mit der Verdauung eines schönen Rinderbratens beschäftigt. Betörend ist Fabio Sartoris sinnlich-heroische Stimme in der hohen und höchsten Lage: zum Beispiel das con disperazione gesungene „Il ciel avaro un giorno“. Die Italiener können’s halt. Eindrucksvoller metallischer Kern. Ekaterina Gubanova ist eine üppige, geheimnisvolle Schönheit. Sie singt ein üppiges, geheimnisvolles Schleierlied. Gubanovas Mezzo ist im oberen Register ein mächtiger Posaunenstoß voller Tizian-Farben. Es dauert eine halbe Stunde, bis René Pape den Mund öffnet. Der Herr links von mir ist wegen Pape hier, aus München, klatscht aber auch bei Gubanova.

René Pape. Ein lyrischer Philipp: eine von Papes besten Rollen. „Ella giammai mi amò“ mit einem kräftigen Nieser eines männlichen Operngehers in der Einleitung, der Pape nicht hinderte, mit sonorer Pracht zu singen. Erstklassig das schmerzlich leuchtende „Francia“, zum Zungeschnalzen das Leiserwerden auf der letzten Silbe in „Quei doppier!… Presso a finir!“ und das opulente „o“ in „veron“ im gleich darauf folgenden  „L’aurora imbianca il mio veron!“ Machtvolle und strömende Spitzen-G’s und -Ges‘. Ein Meisterstück die vollkommene Kontrolle über Dynamik und Klang. Langer Beifall.

Alfredo Daza singt mit heftigem, beweglichem Bariton einen engagierten Posa, Rafal Siwek einen gruseligen Großinquisitor mit imposanter Höhe.

Evelyn Novak (Tebaldo) gut. Tobias Schabel (Karl V) gut.

Leider nur die vieraktige Fassung. Massimo Zanetti dirigiert bewundernswürdig, d. h. mit Berliner Niveau. Die Staatskapelle bringt Lebhaftigkeit und Herz mit. Echt nette elegische Eleganz der Streicher aus Achteln und Sechzehntel-Vorhalten vor dem ersten Duett Elisabetta – Don Carlo. 2 Hornsolos zum Verlieben. Gute Arbeit des ersten Hornisten. Gute Celli-Kantilenen mit echtem Verdi-Schmackes. Im Dezember dirigieren Andris Nelsons und Simon Rattle. Eine weltbekannte deutsche Sopranistin sitzt fünf Plätze neben mir. Vier Tage nach dem DOB-Parsifal hat man den Eindruck, in einer Verdi-Oper werde vollkommen hektisch ein Geschichte erzählt, in der keine Szene länger als fünf Minuten dauert und den Akteuren absolut keine Zeit gelassen wird, sich einmal so richtig auszuquatschen.

Fazit: sängerisch ein fetter Happen Verdi, orchester-mäßig ein sehr guter Abend der Staatskapelle, regie-mäßig Magerkost.