Sopran Maria Bengtsson plauscht mit Bariton Don Giovanni // Foto: Ruth Walz / staatsoper-berlin.de

Maria Bengtsson scheint interessiert an Don Giovanni // Foto: Ruth Walz / staatsoper-berlin.de

Noch mal kurz zur Donna Anna von Maria Bengtsson im Don Giovanni an der Staatsoper Berlin. Ich hab das letzten Samstag schon geschrieben, dann war ich in der Uckermark, jetzt schick gemacht und veröffentlicht. Wie gesagt, das Bedauern der Absage von Anna-Ich-hab-sowas-von-keine-Lust-in-Berlin-diesen-bekloppten-Don-Giovanni-zu-singen-Netrebko verwandelte sich rasch in Zufriedenheit über das Erscheinen von Netrebko-Ersatz Maria Bengtsson.

Maria Bengtsson verfügt über einen nicht sehr großen, aber intensiv und kostbar klingenden Sopran. Ihr Singen besitzt phonetische Energie, das eigentümliche Timbre ist so was wie ihr vokaler Fingerabdruck. Höre ich sie, habe ich Assoziationen wie Introspektion, Intensität, Lyrismus. Das Vibrato ist klein, nur in der Höhe weiter. Am klangvollsten ist ihr Sopran, wenns nicht zu schnell ist, ab dem D bis ganz nach oben (schönes Beispiel: „Abbastanza per te…“ im Rezitativ vor „Non mi dir“), bei leisen und gemächlicheren Stellen ab ca. dem G, das klar und geheimnisvoll wie ein schwedischer Waldsee sein kann.

Das sind die Trümpfe, die Frau Bengtsson im Köcher hat: ein dichter, nicht eigentlich warmer, aber intensiver Ton, eine sehr sorgfältige Dynamik, eine enge Anbindung von Klang und Farbe an den Sinn. Vokale sind meist klar (naja, wenn die Stimme ganz nach oben klettert, auch nicht mehr): zumindest gibt’s kein Kuddelmuddel von Konsonanten und Vokalen. Spitzentöne feuert sie mit klanglichem Gewicht und Farbe ab (hohes Cis in „quegli è il carnefice del padre mio“, Allegro assai).

Maria Bengtsson im echten Staatsopernwald // Foto: Ruth Walz / staatsoper-berlin.de

Maria Bengtsson im echten Staatsopernwald // Foto: Ruth Walz / staatsoper-berlin.de

Hier ist sie nicht so gut: Im Ensemble muss man Bengtsson mit den Ohren schon mal suchen. Der alles niedermähende Affektausbruch („Per pietà.. soccorretemi!“) ist nicht ihr Ding. Rezitative singt sie gut, aber nicht exzeptionell, und unten herum wenig klangvoll. Agilität ist vorhanden, doch nicht außergewöhnlich, zurückhaltende Melismen.

Or sai chi l’onore (Andante): ein ganzer Sack voller Abschattierungen. Spitze, doch nicht scharfe Höhe, Farbe und Klang auch im Piano. Tolles Messa di voce beim zweiten „la chiede il tuo COOOOOOOR„, wie bei den Spitzentönen auch das Vibrato sehr geschickt verändert wird – wie oft wünscht man sich das bei anderen Sängerinnen. Die zahlreichen hohen A’s bringt sie ganz unterschiedlich. Klar und kühl in „chi Fu il traditore“, soft in „se l‘ira in te“, anschwellend in – nochmals – „la chiede il tuo COR„. Wunderbar zurückgenommen die tiefe Stelle „coperto il terreno„.

Non mir dir (Larghetto): Der Beginn klingt fast höher, als er ist, weil Bengtsson so klare, klangvolle, unangestrengte Spitzentöne hat. Tolle Piani. Übrigens wunderbares Sotto-voce-Einsetzen der Staatskapelle. Bengtsson: sorgfältiges, variables, freilich ab und an wie tastend wirkendes Vibrato. Daher der Eindruck delikaten Fließen der stecknadeldünnen Vokale – insgesamt sehr schön. Und daher der Eindruck nobler Zurückhaltung, den Bengtssons Donna Anna hier verschafft. „Non mi dir“ geht übers As bzw. A kaum raus. Der Eindruck: kühle Anmutung, stilisierter Affekt, Gefühl versteckt hinter der Konvention der Arie, hinter dem bestechenden Anschwellen des züchtigen Piano-Tons. Die Sechzehntelketten im Allegretto moderato („Forse un giorno“) werden vorsichtig von Maria Bengtsson genommen. Die zwei kapriziösen Vierergrüppchen aus Bs und A’s, die unverhohlen Königin-der-Nach-Flair verbreiten, klingen rutschig und amorph, aber ich mag es. Wie man überhaupt bei Melismen rhythmische Klarheit und Plastik vermisst.

Alles in allem eine sehr angenehme Opern-Erfahrung. Ich dachte immer, ich hätte Bengtsson vor zwei, drei Jahren an der Staatsoper schon gehört, ich hatte gemeint, ich hätte sie weniger attraktiv gefunden. Aber wahrscheinlich war es beim Don Giovanni doch das erste Mal.

Kritik/review: Ein klasse Leistung einer außeregwöhnlichen Sängerin