Rihms Dionysos ist wie gemacht für Sie, wenn Sie Stauss‘ Elektra lieben oder die Blumenmädchenszene im Parsifal schon immer für einen der reizendsten Einfälle Wagners hielten. „Anfang Rheingold, Ende Tannhäuser“, sagt auf der Toilette ein Bekannter mit Blick auf die Handlung. Die Szenenabfolge: Meer, Gebirge, Bordell, Turin. Warum um Himmels willen muss es eine Nietzsche-Oper sein?

Ruzickas Geistesgrößen-Oper Hölderlin von 2008 war auch ein Schlag ins Wasser. Interessante Opernsujets wären „Elvis‘ letzte Tage in Nashville“ oder „Margaret Thatcher bei Kohls“ (sie verliebt sich in ihn) oder meinetwegen „Richard Gerstl spannt Schönberg die Frau aus“. Hand aufs Herz. Handlungsmäßig war es sterbenslangweilig. Rihms Dionysos besteht statt aus Handlung aus einer endlosen Reihe genialer Nietzsche-Bonmots. Hmmm… Hätte es nicht wenigstens „Nietzsche bei Wagner in Tribschen“ sein können? Ich hätte gerne mal Nietzsche und Cosima zusammen auf der Bühne gesehen.

Rihm schreibt viel bessere Musik als Ruzicka, klar. Im 1. Teil ist es stellenweise zum Zungeschnalzen. 1. und 2. Bild sind feiner, konzentrierter. Im 3. Bild gefiel mir das Wanderer-Lied nicht, die hinreißende Walzer-Fatamorgana jedoch sehr. Im 2. Teil hätte ich gerne mal jemanden anderen etwas ausgiebiger gehört als Nigels Nietzsche. In Tosca lässt die gute Floria den Sarpia und den Cavaradossi ja auch hin und wieder zu Wort kommen, Titelheldin hin, Titelheldin her.

Julia Faylenbogen, Virpi Räisänen, Elin Rombo // Foto: Ruth Walz / staatsoper-berlin.de

Julia Faylenbogen, Virpi Räisänen, Elin Rombo, Mojca Erdmann. Nietzsche trägt Schlips // Foto: Ruth Walz / staatsoper-berlin.de

Mojca Erdmann: Ihr konzentrierter, in der Höhe bewunderungswürdig intensiver und doch leichter Sopran kann ansatzlose höchste Pianissimotöne. Wenn ich Erdmann höre, würde ich wetten, dass sie in Dionysos das hohe G meistert. Georg Nigl: Der Athlet aus Lulu vom April. Unverwechselbare Stimme mit zarter, weicher tiefer Lage und charakteristisch timbrierter, auffällig regelmäßig vibrierender Höhe. Schauspielerisch eine klasse Leistung. Matthias Klink singt mit schöner, tadelloser und leistungsfähiger Tenorstimme.

Es sangen zudem sehr kompetent Julia Faylenbogen, Virpi Räisänen, Elin Rombo.

Ja, der Meese. Es gibt Leute, die sagen, dass der Maler Jonathan Meese nicht das 24. Jahrhundert und der Bühnenbildner Jonathan Meese nicht das nächste Jahrzehnt erleben wird. Das ist eine Ansicht, der ich mich anschließe. Welcher Bühnenbildner stellt Würfel und Dreiecke in rauen Massen auf die Bühne, außer es handelt sich um eine Oper über Euklid? Pierre Audis Regie ist schlecht.

Hosokawas Matsukaze und Dusapins Medea fand ich die feinere Musik. Doch mag eine sensiblere Regie mehr aus Rihms Dionysos machen. Ingo Metzmacher hat einen großen Abend, die Schlagzeuger der Staatskapelle haben ihn ebenso.

Kritik/Review: sehr hörenswerte Musik, lähmendes Sujet, tippitoppi Interpreten, die Regie ist ein Fall fürs Depot.