Ende der Tetralogie an einem herbstlich trüben Berliner Sonntag.

Andreas Schager liefert zum Stimmsound des Heroen das Bühnencharisma des Überfliegers. Burschikos beseelt Schager die Gutruneszenen. Achtung, Knutsch-Alarm! Aber zu Schagers Klasse gehört eben auch, dass immer klar ist, dass Hagens Intrige ihm das Leben kosten wird. Kommt derzeit einer ihm gleich?

Heikel die Brünnhilde von Anja Kampe. Im Duett mit Siegfried spielt sie, wie Tscherniakow inszeniert, nämlich verspielt und ironisch. Gut. Außerdem singt sie, wie Tscherniakow inszeniert. Verspielt und ironisch. Als wäre sie nicht Brünnhilde, sondern eine, die Brünnhilde spielt. Nicht gut. Das funktioniert nicht. Gern indes höre ich Helle Wehr und Racheterzett, wo sie neben Kares und Vasar überzeugt. Im ganzen 2. Aufzug hat sie astreine Spitzentöne. Starke Scheite und Mein Erbe nun nehm‘ ich zu eigen hingegen enttäuschen. Das klingt mehr nach Achtsamkeitskurs im Grunewald als nach Walhalls Ende, und die letzten vier Zeilen hört man gar nicht mehr richtig. Gleichwohl geht der Klang ihrer Stimme oft genug unter die Haut. Doch gemach. In ein paar Jahren wird Kampe das adäquat machen, und dann doch wohl auf bestem Niveau.

Dritter Aufzug. Vorspiel und erste Scene: Stimmt so

Der Hagen des Finnen Mika Kares ist erstaunlich. Denn Kares hat weiches Volumen, das er geschmeidig und ohne Dröhnen einsetzt. Kares‘ überlegene Ruhe frappiert. Die Mannenrufe sind tadellos. Und gefallen besser als sein bisweilen pauschaler Hunding. Clara Nadeshdin gibt der Gutrune ihre frische und aufregende Stimme und spielt nicht ganz so überdreht wie Mandy Fredrich, was jetzt auch kein Fehler ist. Waltraute nimmt ein, nicht durch vokalen Reichtum, doch durch messerscharfe Präsenz der Stimme und untrügliches dramatisches Gespür (Marina Prudenskaja). Ein Genuss vokal und ein Hingucker optisch der greisennackte Alberich des Johannes Martin Kränzle, ein heidnisch-germanischer Abkömmling jener nackt büßenden Barockheiligen Zurbaráns oder Riberas. An die erstickte Tongebung und eigenwillige Vokalfarbe von Lauri Vasar (Gunther) kann ich mich nicht gewöhnen (Soge mir, Held: sitz‘ ich herrlich am Roin).

Beim Göttergossip der Nornenszene gibt es im Vergleich zu den Vorjahren eine Verschlechterung und eine Verbesserung. Anna Kissjudit hat zwar Volumen, aber nicht den Punch der Noa Beinart bzw. von Prudenskaja. Und Daniela Köhler klingt präziser als weiland Anna Samuil. Nur Kristina Stanek (Treu berat’ner Verträge Runen) ist gleich gut wie 2022 und 2023.

Die Berliner Ring-Inszenierung von Tscherniakow balanciert fein Negation des Mythos und Faszination durch die Story. Um schlussendlich weise der Musik das Vorrecht zu belassen. Manche andere Produktion tut sich damit schwerer. Erzähldetails überraschen: Siegfried verschmäht sowohl Gutrunes Vergessenstrunk wie Hagens Wiedererinnerungstrunk. Hagen schreckt nach dem Alberich-Dialog wie aus einem Traum auf und tastet verwundert nach der Kluft, durch die Alberich verschwand. Und Gunther ist am Ende von Götterdämmerung ebensowenig tot wie Hunding am Ende von Die Walküre.

Solch Andeutungs- und Auslassungs-Theater funktioniert prima, solange Sänger und Orchester ihren Wagner ordentlich rocken, also die schlussendliche Deutungshoheit im Saal besitzen und behaupten.

In der Götterdämmerung gibt es fade Arrangements, so die Waltrauteszene (Rumhocken reicht nicht), so Brünnhilde in der Gibichungenhalle (Belämmert gucken reicht auch nicht). Man ist dankbar dafür, dass Videos nur peripher vorkommen. Ärgerlich freilich, dass die Sänger, weil die Regie sie in Bühnenschachteln zwängt, nie im Bühnenvordergrund agieren dürfen. Was besondes für die aparten Rheintöchter gilt (Evelin Novak, Natalia Skrycka, Ekaterina Chayka-Rubinstein).

Christian Thielemann? Der liefert weidlich Wagnerwonne, Götterdämmerung dürfte der erfüllendste der vier Abende sein. Es ist alles da: Vielstimmigkeit, Streicherlegato, Extraklasse-Rubato, Steigerungen, Weite des Atems, Klang, Überreichtum der Leitmotive – in Götterdämmerung gibts noch mal einen Packen Motive obendrauf. Vom Hocker reißt die Leitmotiv-Apotheose von Weltesche, Walhall und Siegfried am Schluss, aus einem Impuls mit unlernbarem Gefühl dirigiert und von der Staatskapelle geliefert. Wenig sagen allerdings tun mir einleitendes Vorspiel mit den Erwachensmotiven (vieles zu hastig) und Trauermarsch. Bravourös der Groß-Glück-Chor.

Hat jemand Hagens Zurück vom Ringe gehört? Ich muss es verpasst haben.

Thielemann, Volle, Schager, Mahnke, Kränzle, Kares, Kampe (das wird IMHO noch) – gerne genau so in den nächsten Jahren wiederholen.