Die Lettin Elīna Garanča singt an einem sonnigen Montagabend Lieder von Strauss, von Duparc und Rachmaninow.

Und, komponiert von Jāzeps Mediņš, Jānis Mediņš, Alfrēds Kalniņš und Jāzeps Vītols, Lieder aus Lettland, die allesamt um die Themen Nacht, Traum und verlorenes Glück kreisen. Meist ernst gestimmt und ruhig gehalten, geben sie beste Einblicke in die Musikkultur Lettlands in den Jahrzehnten um 1900.

Die Programmdramaturgie der präsentierten Strauss-Lieder wiederum folgt dem bestens bewährten Schema ruhig-lebhaft-ruhig-lebhaft. Dafür hört man heute den bunten Strauß dieser Welt-Lied-Erfolge ohne die Brillanz eines Soprans, doch mit dem inständigen Ernst eines Mezzosoprans. Die Lieder werden kühl instrumental interpretiert. Zueignung, ungewohnt an den Beginn gestellt, wird so in objektivierende Distanz gerückt. Die leichte Tempo-Drosselung verschiebt Zueignung vollends in den Bereich einer Meditation, das berühmte Habe Dank erhält durchaus eine ungewohnt (nordisch?) bedrohliche Nuance.

Doch halt! Sowohl Zueignung als auch das raffiniert konventionelle Schön sind, doch kalt die Himmelssterne leiden an einer gewissen Schwerzüngigkeit. Da liegt der gewohnt auratische Edel-Klang der Garanča dann plötzlich wie Blei auf dem Fin-de-siècle-Textlaut dieser allseits bekannten Lieder. Auch der Schwung im ersten Teil von Heimliche Aufforderung wird von üppig schwerer Artikulation erstickt. Den hymnischen Ton in der Trennungstragödie Befreit (Gedicht: Dehmel) hingegen lässt die Lettin opernhaft aufschwingen, ohne dabei ins Sentimentalisierungs-Fettnäpfchen zu treten. Immer ein Vergnügen: die Bernstein-dunkle Stimm-Timbrierung. Wer wollte, könnte hie und da eine ungelenke Phrasierung beanstanden.

Seriously, Leute? War Deutschland nicht einmal das Land der Liederabende? Heutzutage klatscht das Parkett nach jedem Lied. Dagegen war das Handy im Klavierepilog von Extase fast zu vernachlässigen.

Die Lettin sagte ja leider vor zwei Monaten die Kundry hier an der Staatsoper ab. Vielleicht dann in einer der nächsten Saisons??

Die zweite Konzerthälfte mit Duparc und Rachmaninow!

Nach strenger, schwarz-weißer Blusenoptik mit raffiniert kreisenden Oberarmbäuschen vor der Pause trägt die Mezzosopranistin nun blumengemustertes Sommerkleid mit durchsichtigen, Stola-ähnlichen Ärmelschleppen.

Und lässt die mélodies von Henri Duparc mit gurrendem Bronze-Ton wie dunkle Beschwörungen klingen. Zuerst das von einer ruhigen Melodielinie durchzogene Au pays où se fait la guerre von Théophile Gautier, das sich zu leidenschaftlicher Klage steigert. Dann die düstere Glut von Baudelaires L‘Invitation au voyage, am Flügel ist Malcolm Martineau hier ein wunderbar klar agierender Begleiter. Mit am besten gerät die schwelgerische Träumerei Extase, wo der kühle Stimmprunk den Text von Henri Cazalis wie eine Boa constrictor umgarnt und umwindet. Auf ähnlichem Niveau sodann die dunkel beseelte Bukolik von Phidylé (Leconte de Lisle). Freilich: Man versteht selbst bei aufmerksamem Zuhören kaum einen Satz ganz. Bewundernswert ist, wie Garanča sich jeder Koketterie enthält (im Gegensatz zu Renée Fleming etwa) und streng objektiv interpretiert, die untergründige Leidenschaft allein im Klang aufleuchten lässt.

Insgesamt am überzeugendsten gelingen die sieben Stücke von Rachmaninow.

Fazit: ein ähnlich hochkarätiges Recital wie das von Joyce diDonato oder Sonya Yoncheva letzte Saison.

Die wortgetreuen Übersetzungen der Lieder sind wie immer formidabel hilfreich. Aber bei thym liegt vielleicht doch „Thymian“ näher als „Quendel“. Und „Halte bei Ebbe die See nicht für launisch“ für В отлива час не верь измене моря ist schon sehr rustikal übersetzt.

Die Zugaben: Сирень von Rachmaninow, dann die Arien Io son l’umile ancilla von Lecouvreur und L’amour von Bizet, beides unvergleichlich gesungen, sowie Nana von de Falla.