Was bringt Ultraschall 2025? Ein Dutzend Konzerte und eine Diskussion über das Thema „absolute oder engagierte Musik“. Auf einen Festival-prägenden Komponistenfokus wird heuer verzichtet, auch auf Elektro-Frickelei der härteren Gangart. Stattdessen folgen ein Aperghis-Saunders-Abend und mehrere „Geburtstage“ von Ensembles, LUX:NM aus Berlin wird 15, das Ensemble Recherche aus Freiburg 40, das Ensemble Meitar aus Tel Aviv 20. Am Anfang aber stehen zwei schlüssige Orchesterkonzerte, das erste vom DSO, das zweite vom RSB. Ich höre via RBB und Deutschlandfunk Kultur.

DSO: Pagh-Paan, Neuwirth, Platz, Gourzi

Ultraschall 2025 beginnt religiös. Und zwar mit einer in milder Eleganz dahinziehenden Klagerede, deren Titelworte der wiederauferstandene Christus laut Johannesevangelium zu Maria Magdalena spricht: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Das kurze Werk von Younghi Pagh-Paan bietet nichts Neues, ist aber auf seine Art hörenswert. Was ebenso für Olga Neuwirths Dreydl gilt (jiddisch für „Kreisel“, 2021). Das verortet sich gekonnt zwischen Repetitiv-Motivik und Folklore-Touch. Doch die extrem leicht hörbare Oberfläche ist das eine. Da ist auch ein ins Innere der Musik treffender Witz. Neuwirths feiner Sinn für Struktur tut dann das Übrige.

Foto: © rbb/Claudius Pflug

Das Violinkonzert von Robert HP Platz klingt – gewollt oder ungewollt? – anfangs wie eine Fortsetzung von Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Das Ganze kommt routiniert-introvertiert rüber (2023, 18′, UA). Die Geige (Carolin Widmann bewährt, aber Virtuoses wird kaum gefordert) zieht melancholisch ihre Kreise über milchig flirrendem Orchesterlicht. Etwas Betuliches ist dem Werk nicht abzusprechen. Was machen mit Mykene von der Griechin Konstantia Gourzi? Die sieben Miniaturen (2002, 16′) sind schon arg retro, es grüßen Fontane di Roma und Das große Tor von Kiew. Die Titel der kurzen Sätze lauten u.a. Elektras Ängste, Klytemnästras Grab, Vollmond in Mykene. Enno Poppe, komponieren Sie die vierteilige Sinfonische Dichtung „Oberbayern“ mit den Sätzen „Neuschwanstein“, „Linderhof“, „Abendstimmung in Herrenchiemsee“, „Das Schachener Königshaus“. Anna Skryleva leitet das DSO.

Foto: © rbb/Claudius Pflug

RSB: Petrić, Katzer, Cvijović, Mason, Illés

Am Tag drauf das RSB unter Enno Poppe. Die Kante gibt sich die Kroatin Margareta Ferek-Petrić mit ihrem Klavierkonzert The Orgy of Oxymorons (2022, dtEA). Der Titel klingt verdächtig nach Ivičevičs Orgy of References, von Ivičevič kommt auch die Buntheit. Nachdem man sich beim ersten Hören noch über die stilistische Wahllosigkeit einiger Auftragswerke gewundert hat, rücken beim zweiten Hören Attraktivität und Tempo von Orgy in den Fokus. Und Details. Ein Sahnehäuberl stellt ohne Zweifel das panische Spottgelächter der Holzbläser bei 6:30 dar. On Top gibts den um Hilfe kreischenden Hühnerhaufen bei 8:00. Solistische Extrovertiertheit wird von der Solistin (Maria Radutu) nicht verlangt, doch eine Kadenz darf nicht fehlen. Sie leitet zum Schluss über. Ein Wunder an Ökonomie und Folgerichtigkeit ist Baukasten des Komponisten Georg Katzer (1972). Baukasten ist ein regelrechter (ost-)deutscher Klassiker. Die Komplexität ist glasklar. Man hat hier die Ernsthaftigkeit von Schönberg und den objektiven Aufbruch von Boulez. Seriously, ein Höhepunkt von Ultraschall 2025.

Foto: © rbb/Michael Ramm

Von der Serbin Misha Cvijović wird Lica Persefone vorgestellt („Gesichter der Persephone“). Es gibt zwei Sätze, Winter, Persephone bei Hades, und Sommer, Persephone bei ihrer Mutter im Olymp (2013/2014). Der erste Satz ist besser und gerät objektiv expressiv, wie Krenek 1930er. Der zweite klingt zu simpel. Ist das der Trend in der gegenwärtigen Musik: unverhohlen retrospektiv, in der Musikgeschichte wildernd, aber gut zu hören? Ähnlich bei dem Briten Christian Mason. Dessen Eternity in an hour (2019) stellt einen genausowenig wie Persefone vor Probleme irgendeiner Art. Hat man die ersten fünf Minuten überstanden (was nicht einfach ist), kann man sich konzentrieren auf weit-gemächliche Räume, gefüllt mit nichts als Klang. Wobei Mason in Eternity in an hour sinfonisch großformatig denkt, die Motive sind karg, aber markant. Drei der fünf Sätze tragen Titel.

Foto: © rbb/Michael Ramm

Ganz anders wiederum Márton Illés mit Ljubljana24 für 24 Streicher (2024, 13′). Illés arbeitet mit hypernervösen Fluidsystemen. Die Geschehens-Dichte ist hoch auch bei leisen Stellen. Das ist Neue Musik, die fahrig, virtuos und spannungsvoll wirkt. Zum ersten Mal gefällt mir ein Stück von Illés. Poppe ist „ein sympathischer Typ, der sofort Stimmung mitbringt“.

LUX:NM: Glojnarić, Hurt, Younge, Ballon, Omeltschuk

Weiter gehts mit LUX:NM. Sara Glojnarić zelebriert in Artefacts #3 (2020, 5′) die komplizierte Lustigkeit des Leichten, und das Berliner Ensemble LUX:NM spielt das flocker lockig runter. Dahingegen bewegt sich Leopold Hurts Preperations for a Fall hart an der Grenze zum Simplen (und auch schon drüber, 2024, UA). Espaces imaginaires, forêt von Séverine Ballon bringt statische Äußerungen, zumeist Einzeltöne, von vier im Raum verteilten Interpreten, was minimalistsch und poetisch klingt, aber auch unbefriedigend (2024).

Foto: © rbb/Regina Lenchner, rbb/Stefan Stahnke

Mehr nach Glojnarić schlägt die Uraufführung Undergrowth / Polka der US-Amerikanerin Bethany Younge aus, das tönt kurzweilig, erfrischend, unterhaltsam. Was für die fünfsätzigen Memories. Tape I (2023) der Weißrussin Oxana Omeltschuk nur bedingt gelten dürfte. Da wird erstmal mit einem direkten, dunklen Klang operiert, Satz zwei und vier blicken zum Jazz. Hier ists nostalgisch, da grüßen Variété-bunt Hörbilder, dazwischen wird weich und Erinnerungs-offen geflowt. Kann man durchaus mal anhören.

Foto: © rbb/Regina Lenchner, rbb/Stefan Stahnke

Ensemble Recherche: Balch, Bång, Poppe

Womit ich beim Ensemble Recherche bin bzw. bei Katherine Balch. Deren musica spolia für vier Instrumente (2021, 5′) reiht sich unter die kleinen, feinen Festivalbeiträge. Balch, US-Amerikanerin, beschwört in der leicht gebauten Spolienmusik ihre Kindheit in San Diego. Oft ist die Musik genuin anekdotisch, atmet entschlackt und präzise Erinnerungsluft. Womit sich Kürze der Miniaturen und ihr flüchtiger Gehalt entsprechen. Malin Bång zielt danach mit inuti (schwedisch für „innerhalb“, 2023, 12′) allzusehr auf Gespinsthaftes ohne nachvollziehbaren dramatischen Verlauf. Dabei wäre das Konzept, Geräusche von der Körperoberfläche mit Tönen und Geräuschen von Instrumenten in Verbindung zu setzen, durchaus tragfähig. So wie Zhao das auch schon mal hier in Berlin gemacht hat.

Foto: © rbb/Regina Lenchner, rbb/Stefan Stahnke

Schlussendlich ist Laub von Enno Poppe (2024) eine harte Nuss. 40 Minuten plus, Dynamik und Tempo verharren zumeist im mittleren Bereich, der Eindruck ist der ständigen Eierns infolge Tonhöhenlabilität und Motivvariantenakkumulierung. Zudem verbreitet das Hauptmotiv diese für Poppes Kompositionen typische Aura von frugalem, freudlosem Kunsternst (Wiederkehr Minute 34!). Freilich wird das sofort spielerisch unterlaufen durch lebhafte Stellen. Dennoch ist jede Sekunde Hören harte Arbeit. Laub von Poppe ist schon ein Solitär. Ein weiterer Höhepunkt.

Jessas: Seyedi & Kampmann, Schiphorst & Hoppe

Stücke wie Dunst – als käme alles zurück von der Komponistin Elnaz Seyedi sowie der Dichterin Anja Kampmann machen mich echt fertig (2023). Wenn ich eine Stunde Lyrik hören will, besuche ich einen Rezitationsabend im Deutschen Theater. Die Lyrik von Anja Kampmann war überdies schlecht. Ich wäre zufriedener gewesen, wenn ich stattdessen den Sopran von Einat Aronstein mit Wie himmlische, nicht irdische, wie Rosen vom hochheiligen Paradies gehört hätte. Diese 40- bis 50-Minuten-Stücke auf Festivals, extra Kompositionsauftrag, extra viel Niveau, sind meist für die Katze. Für Iris ter Schiphorst & Felicitas Hoppe mit Was wird hier eigentlich gespielt? gilt das Gleiche.

Mmh, yeah, mmh, yeah: Illés, Mochizuki, Lachenmann

Was Handfestes zeigt dann wieder das Quatuor Diotima. Denn Torso V von Márton Illés setzt ähnlich wie Poppe auf die pure Arbeit am Motiv (2007, 10‘). Aber zu sehr. Es passiert hinter den demonstrativ wilden Noten wenig, und das leise Ende will ein Enden von etwas, das zuvor nicht begann. Ähnlich Motiv-basiert ist der Zugang von Misato Mochizuki bei Brains (2017-2020, 2024, 35’). Wo die durchgängigen Sechzehntelpulsationen fast störend wirken, und erst allmählich gewinnt das Werk, das sich w jakikolwiek sposób mit Gehirnneutronen beschäftigt, plausiblen Zusammenhalt. Hier werden auch Motive variativ kumuliert, aber in mehr fließendem Verlauf. Die Aufführung von Gran Torso von Lachenmann ist ein Verdienst (1971, 23‘). Gran Torso ist so was wie das Urchristentum der Zeitgenössischen Musik. Alles, was danach kommt, stammt auch von dort. In dem Werk selbst passiert nichts, aber alles ist essentiell. Das Diotima-Quartett geht fein elastisch vor, nicht streng linear.

Foto: © rbb/Claudius Pflug

Pony Says: Bång, Ohering, Zhao, Krebs

Wenig ergiebig ist das Spätkonzert der Stuttgarter Formation Pony Says. Von Malin Bång ist sinews, eine Uraufführung, ganz schwach (2024). (fāld) nicht ERSTARREN von Helmut Oehring beginnt als Improvisation, und erweist sich immerhin als lebhafter (2023). Am besten noch Yiran Zhao negative space A (2021), weil das fließt und sich windet. Inherence von Philipp Krebs wird wegen Sendezeitüberschreitung um kurz vor 23 Uhr nicht mehr übertragen (2023).

Meitar Ensemble: Seyedi, Frenklakh, Haas, Klartag, Lanza

Seit 20 Jahren gibt es das Ensemble Meitar, jetzt gastieren die Israelis zum ersten Mal beim Festival Ultraschall. Elnaz Seyedi macht in Fragmente einer Erinnerung (2015, 12′) einen Monolog des Rauen auf, ohne zu überzeugen. Batya Frenklakh bringt Colors of the sand mit, kurze, locker pointierte Augenblicksfantasien aus Israel – Glück ausstrahlende Bilder für besonders trübe Stunden (2025, UA, 11′). Auch Die schwache Kraft von Georg Friedrich Haas bereitet sich zum Mutzusprechen, doch geschieht dies subtiler (2024, UA, 24′). Eine schier endlose Aneinanderreihung unendlich präzise gefasster Soft-Aufwallungen, ganz von ferne mit Bedeutung aufgeladen, indem ein Text das physikalische Phänomen der Sonnenstrahlung des Universums anspricht. Wieder eines der Hauptwerke der Ultraschall-Ausgabe 2025. Weniger aufregend dann von dem in Tel Aviv lebenden Yair Klartag The sun will stand still und von Mauro Lanza The Lincolnshire Poacher II.

Foto: © rbb/Stefan Stahnke

DSO: Seither, Maintz, Nemtsov

Das Abschlusskonzert? Das DSO spielt unter Markus Poschner Seither, Maintz und Nemtsov, zwei dunkle Einsätzer rahmen ein konventionell dreisätziges Konzert. Und hier ist sie schon wieder, diese neue Einfachheit. Denn als fast schon spooky erweist sich die Traditionalität von Zu welcher Stunde, wo Bläserrufe die Welt Mahlers umkreisen (2022). Komponistin ist Charlotte Seither. Ein schönes Stück, leise, aber auch gut? Mit dem Cellokonzert von Philipp Maintz steht bei Ultraschall Berlin schon das dritte Konzert für ein Soloinstrument zur Debatte. Wie bei Ferek-Petrić drei Tage zuvor befindet sich der Solist im hektischen Dauereinsatz. Nur hat bei Maintz das Orchester als Background-Beschaffer einen eher leichten Job. Der Werktitel Upon a moment’s shallow rim kommt von Emily Dickinson (2014/15, 25′). Das Ding ist mühevoll, aber nicht ohne Gewinn zu hören, meist ist Johannes Moser (Cello) im weiten Niemandsland zwischen Rezitativ und Arioso aktiv. Dreisätzig, verkrümelt sich das Cellokonzert am Ende kadenzartig.

Foto: © rbb/Claudius Pflug

Festival-beschließend ist von Sarah Nemtsov ein relativ neues Werk, Black trees, zu hören (2020, 22′). Auch hier dient Dichtung (hier Sylvia Plath) als Anstoßinspiration. Das „Nachtstück“ (Nemtsov) wird über dunklem Untergrund düster schillernd in Szene gesetzt. Dabei korreliert Black trees auf zwei Ebenen: als absolute Musik und als abstrahierend poetischer Bedeutungsraum, als ein Von-Außen-Betrachten und als ein Von-Innen-Fühlen. Schön das Holzbläserdurcheinander bei 12:30.

Eindruck: Ultraschall im Januar bleibt einer der ganz wichtigen Termine in Berlin. Die Gelingensquote ist 2025 höher als in den beiden Vorjahren.


Weitere Ultraschall-2025-Kritik: „Die Machtstrukturen der Moderne“ (Jan Brachmann)

Vorbildlich ist wie immer die mediale Nachpflege von Seiten von RBB und DLF: hier Nachhören, jeweils mit Fotos