In der Staatsoper gibt es wieder die römische Tragödie Tosca in einer guten Besetzung. Zubin Mehta dirigiert, als gäbe es kein Morgen, die Staatskapelle liefert Schönheit und Weichheit ohne Süffigkeit, kostet Puccinis Leidenschaften locker flockig aus. Wenn schließlich Mehta die Details der Partitur in hinreißender Fülle aufblühen lässt, geschehen unterhalb der Ebene des Hauptmotivischen Feste des Instrumentalen. Nur der Schluss zerfließt wie Butter in der Sonne.

Tosca gehört zu den Opern, denen drei Hauptrollen reichen: Sopran, Tenor, Bariton. Kein altersweiser Bass, kein eifersüchtiger Mezzo. Freddie De Tommasos Cavaradossi – er kann im Halblicht aussehn wie Fritz Wunderlich – wiegt eine statische Bühnenpräsenz durch form- und tonschönes Singen auf. Der Brite lässt den Klang italienisch aufspringen. In den Leuchtenden Sternen aber fehlt die Tragik dessen, der sterben wird, De Tommaso lässt die makellose Linie einen Klick zu viel aufzittern, deutet Seufzer an; freilich zieht Mehta hier durch langsames Tempo auch den Stöpsel aus der Wanne. Die Höhe ist gut, die Mitte prachtvoll dunkel, nur beide kippen bisweilen in selbstverliebtes Schönsingen.

Lise Davidsen ist nicht von jener Toscaitis bedroht, die bevorzugt lyrische Sopran befällt, die mit dieser Rolle Fachgrenzen überschreiten. Ich las erst nach der Vorstellung, dass es sich um ein Rollendebüt handelte. Sie singt laut, aber nur, wenn sie muss, deshalb geht es unter die Haut. Bei dem B, dieser Halbennote auf Signor in Vissi d’arte, muss sie. Man bekommt in diesem Moment in gut vier Sekunden eine Ahnung davon, was die Schwedin Birgit Nilsson in großen Sälen anrichten konnte. Die Arie ist bei Davidsen durch und durch Ausdruck. Die Norwegerin ist nicht Gheorghiu (heiße Katze), sie ist nicht Yoncheva (gefühlsstarke Tragödin). Davidsens Aufrichtigkeit ist eindeutig mädchenhaft, als käme sie aus gutem (Bildungs-)Hause, ihr Spiel linkisch, was insgesamt aufregende Neuperspektiven in Richtung Ibsen eröffnet. Tosca als Hedda Gabler. Die Staatskapelle begleitet das Vissi schön wie ein Gebet. Auch in Non la sospiri im ersten Akt stehen da keine Gheorghiu und keine Yoncheva. Sondern da passiert bei aller Eckigkeit der Phrasierung, bei aller Wortverwaschenheit und scheinbar fehlender Spontaneität des Gefühls, bei schwächerer Tiefe eine vollauf überzeugende Unmittelbarkeit des Zugangs. Puccini goes Ibsen. Superb.

Zu allem Überfluss ist Gerald Finley ein guter Scarpia. Mega kontrolliert, ausgefeilt ins Letzte der Vortrag, Finley wird jeder Note gerecht, außer im Te Deum, wo Volle und Maestri eben voller und maestraler agierten. Die Rollenporträts der Vorgenannten – Volle der sanguinische Berserker, Maestri der leisetreterische Genießer – ergänzt Finley durch ein Porträt raffinierter, von nervöser Bosheit infiltrierter Intelligenz.

Zubin Mehta ist nicht immer bei den Sängern und umgekehrt, was dem beinah denkwürdigen Dirigat aber keinen Abbruch tut. Sonderbar die Akzente, die die Akteure setzen. Zwischen Tosca und Mario funkt heuer gar nichts. Und brüllen Scarpia Mia! Mia! und Tosca Aiuto!, stehen beide bewegungslos meterweit auseinander. Warum Tosca Scarpia ausgiebig betätschelt, weiß vermutlich selbst Scarpia nicht genau. Setzte sich Davidsen mit einer Um-Interpretation durch? Wobei, Davidsens Dolchstöße strahlen nicht mehr Gefährlichkeit aus als ein Hantieren mit einem Handy.

Unterdessen baut die Hermanis-Produktion sich ab. Die die Handlung begleitenden Groß-Aquarelle (die „aufwendig gestaltete Graphic Novel“) werden weggelassen. Jetzt zeigt man statisch jeweils einen Akt lang S. Andrea, Farnese-Palast und Engelsburg. Dass die Übertitelung das orror aus Ah! Più non posso! – Che orror! mit „Horror“ übersetzt, ist blanker Horror.

Arttu Kataja ist ein packender Angelotti mit Drama in Spiel und Stimme. David Oštrek stattet die Genrefigur des Mesners heute mit interessanter Missvergnügtheit aus.