Günther Groissböck ist Unter den Linden ein von Lerchenau der lässigen Virtuosität. Ein Kavalier wie auf dem Theater, freimütig und derb und plastisch, mit der Eloquenz eines Theaterschauspielers. Hofmannsthal: „Ein Luder ist er… aber nicht ohne Kraft, nicht ohne Humor“. Groissböck, der Niederösterreicher, tut österreicheln ohne Anbiederung. Verbindet die Gravitas der Großen Oper mit der Grandezza der Komödie. Auch für die Zumutungen – sie waren es schon bei der Dresdner Uraufführung und wurden folglich gestrichen – der Ochs-Passagen wie „Wär‘ Verwendung für jede“ und „Zuzug von jungen Mägden aus dem Böhmischen“ gilt: Groissböck singt, als würde er sprechen. Das kann sonst keiner.

In der freundlichen, klugen Inszenierung von André Heller sind die Kostüme von Arthur Arbesser der Knaller.
Heute am meisten ein nimmt Marina Prudenskaja. Ihr dunkler Dringlichkeitston sticht. Denn ihr Octavian ist intensiv wie von einem 17-Jährigen. Prudenskajas Klang (kühl, leidenschaftlich, kontrolliert) bezeugt, dass diesem Octavian eine Vernunft voll Unvernunft und eine Empörung voll Rechthaberei durch die Seele gehen. Das ist schon exzellent. Die Mariandl-Szene des dritten Akts meistert die Mezzosopranistin mit Rabiatheit; die frechen Übertreibungen im Puff-Beisl richtig treffen, kann man das überhaupt? Ein Hoch auf die subtile Präsenz von Julia Kleiter, Kleiter ist in Koketterie wie in Melancholie ganz Dame, singt liedhaft und nuanciert, singt Hab‘ mir’s gelobt, Ihn lieb zu haben in der richtigen Weis unvergleichlich (sie war ja auch unvergleichlich im Meistersingerquintett). Ich habe sie vor Weihnachten angesichts der mächtigen Stimmen ihrer Mitstreiter `leicht unterschätzt.

Patziger war keine Sophie wie die von Golda Schultz. Die Stimme ist über die Maßen schön. Den Backfisch verkörpert Schultz auch, aber einen, mit dem das Temperament durchgeht: Sie ist bissig und giftig und heftig im Wutausbruch (Was ist er denn zu mir?). Schultz verteilt Schläge gegen den Lerchenau. Oft bemerkt wurde ja, dass Oktavian ein Ochs in statu naschendi sei. Heute kommt einem der Verdacht, die zukünftige Gattin Rofrano wäre auch nicht nur aus Samt und Seide. Leider sind Diktion und Artikulation bei Schultz – gemessen an der Qualität der Berliner Aufführung – mittelmäßig. Und beim Bagatelladligen Roman Trekel ist die perfekte Balance zwischen Gesangs- und Bühneneinsatz zu loben. Herrlich Sie heirat‘ ihn! Mit junger Stimme, weichem Piano und biegsamer Höhe singt Andrés Moreno García den Sänger.
Mein Urteil zu Joana Mallwitz steht noch nicht fest. Man hört Rosenkavalier nicht so oft wie Elektra. Die Staatskapelle hat hellstes Brio, ist flott im Walzer, den Abgesang der Marschallin im ersten Akt bettet Mallwitz auf weichen Klangwolken. Aber es klingt mitunter ruppig, zu „wörtlich“, recht anektdotisch (wie als wär der Rosenkavalier ein riesiger Don Juan). Die Dirigentin ist ständig präsent in der Musik – mit schlangengleichen Ganzkörperbewegungen ganzmusikalische Bewegung fordernd. Heute wird noch schneller als vor Weihnachten musiziert.
Das Konzerthaus will jetzt für 2. Rang letzte Reihe 32 Euro, Sanderling, Leonskaja. Selbst die allerhinterste Ecke kostet 27. Chapeau, wo doch jedes Orchester hinten im Saal schlecht geprobt klingt.
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Petrenko war supermegaklasse
Gut beschrieben vom Göbel
https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/musik/rezensionen/buehne/2024/01/philharmonie-jahresauftakt-philharmoniker-petrenko.html
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Geh vermutlich erst wieder zu Préludes und Symphonia Domestica. Die Jakobsleiter hör ich mir später irgendwann in der Hall an.
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Apropos, ich gehe nicht zu Written on Skin, fand das Neo-Mittelalter des Librettos 2018 in der Philharmonie (Mahler Chamber/Benjamin) schon unerträglich. Dann doch lieber zu Ponchiellis Gioconda und gegen Ende der Saison zu Nixon in China, das ist vergnüglicher.
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Ach, die Gioconda ist ja noch sowas von gähnend leer ! Könnte man sich wie üblich die billigste kaufen und sich wohin setzen ?
Gibt’s aigentlich in der Oper noch was andres ?
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Dem Hanssen scheint zu dämmern dass seine hirnrissige Idee, Wagner in Berlin nur noch an der Deutschen Oper spielen zu lassen und die Staatgsoper zum Haus für Italienisches und Französisches zu machen, doch nicht ganz der Knüller ist.
https://www.tagesspiegel.de/kultur/musiktheater-in-berlin-was-soll-nur-aus-der-deutschen-oper-werden-11007949.html
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Nun kommt bald Var. 25, die „schwarze Perle“, oder „ein Abgrund an Elend und Verlassenheit“. Habe eigentlich keine Lust, sowas überhaupt zu spielen, aber es gibt zumindest die Möglichkeit, es doppelt so schnell als üblich zu spielen, denn die Bezeichnung „adagio“ steht nur in dem Bach’schen Handexemplar.
Helmut Walcha machte das so, vor 1975 :
Doppelt so schnell wie die andren, so ist es erträglich.
Was genau ist „adagio“ ??
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Einfach nur ein wenig langsamer als das hier :
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Seit ich Amazon Music habe, kann ich fast alle Pianisten vergleichen, wie sie das spielen. Also zum Beispiel der Schiff, der läßt in Variation 26 alle Verzierungen weg, und spielt es so, wie es im Urstich steht. Dagegen Perahia spielt die Vorschläge, die erst 1975 in Bachs Handexemplar gefunden wurden, so, wie es Werner-Jensen angibt, also auf den Takt und als Achtel. Wie soll ich das nun machen ?
Wie es mir gefällt und gut klingt. So einfach. So machens nämlich alle.
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Das schlimme ist, daß die Aufnahme eines Exzentrikers noch immer als „goldstandard“ gilt :
Dabei hatte der doch einen ganzen Schrank voller Tabletten, an dem er letztlich starb.
Leute, die singbare Musik daraus machen, kommen nach und nach hervor.
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so zum Beispiel :
der ist auf seine Weise exzentrisch, aber gut
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hier nicht so gut hörbar, in vielen anderen Variationen aber schon :
Jean Rondeau, Goldberg Variationen
sowas lustiges und eigenwilliges hab‘ ich sonst noch nicht gehört
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Glenn Gould hat versucht, mathematische Temporelationen zwischen den Variationen aufzustellen. Da gibt es Schmierzettel von ihm, die das zeigen. So erklären sich die extremen Tempi, mal zu langsam, mal zu schnell, die er gewählt hat.
Meine Erfahrung ist : wenn ich das spiele, dass es nach Musik klingt, liegt es auch in den Fingern. Bach konnte das.
Nur manchmal vergesse ich den Fingersatz, wenn ich Var. 26 seit Tagen nicht mehr gespielt habe. Dann muss ich mich erst wieder warmspielen.
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Ich habe ja mir gerade fast alles aus der ZLB an
Büchern ausgeliehen, was es da zu den Goldberg-Varationen so gibt, in der Hoffnung, z.B. etwas über die Stimmführung zu erfahren, also wo genau welche Stimme was singt. Aber Fehlanzeige. Stattdessen lange Ausführungen über die Historie oder die Bedeutung der Zahl 4 in dem Stück. Einzig ein Cembalist namens Arnold Werner-Jensen hat vernünftiges und spielpraktisches beizutragen. Für Pianisten allerdings auch nur eher verächtlich am Rande.
Ergo : Muß ich wohl alles selber schön spielen.
Und Musikwissenschaftler sind eine ganz elende Spezies, wenn sie solche Bücher schreiben.
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I‘ glaab, dös hob i vor vuin Johrn scho amol gepostet :
s‘ ist halt so
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Ansonsten kann ich ja nicht ganz verstehn, wie jemand sich dreimal hintereinander in einen Rosenkavalier setzt, um sich das Hoffmannsthalsche Gesülze anzutun. Neben mir im dritten Rang bei der letzten Aufführung saß ein mittelalter Herr, der alles mitdirigierte und zu kennen schien. Nun ja, ich gehe in Falstaffs dafür.
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Sie klingen wie ich vor 15 Jahren.
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Tja, der Hofmannsthal, lieber sollte man das kitschige „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ der Marschallin streichen als immer die Ochs-Stellen. Aber Boitos Falstafffinale, im Park von Windsor, mit dem ganzen „Pizzica, pizzica, stuzicca“ ist ebenso nicht frei von Dämlichkeit
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spungi spiluzzica. Da haben Sie recht, und das war genau das, was ich meinte.
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