Muss man Salome zum x-ten Mal sehen?
Vielleicht nicht. Aber 110 Minuten für eine geile Geschichte mit einer Prinzessin als patenter Hauptperson in einer interessanten Inszenierung ist kurz vor Saisonschluss, und dann noch mit der Umbesetzung, will sagen jetzt mit T. J. Mayer, Grund genug.
Denn Neuenfels Inszenierung von Strauss‘ einst skandalösem Bibeldrama funktioniert blendend, zumindest bis zum Abgang des Propheten Jochanaan. Tiptop schon das Anfangsbild, die Tetrarchenfamilie auf drei Stühlen, dahinter aufgereiht ebenso viele Hofbedienstete in abgedreht cremeweißen Wüstenkriegerklamotten. Reinhard von der Thannen baute eine anspielungsreich reduzierte Bühne, die ein technoides Palastzuhause in einem abstrakten Wüstenstaat darstellt.
Der Jochanaan ist eine Wucht, wie er vom Premierenpropheten Thomas J. Mayer, der einer lustigen Raketenkapsel mit phallischer Kontur entsteigt, gespielt wird, nämlich als gequältes Ur-Tier.

Salomes Tanz ist bei Neuenfels natürlich kein Tanz, sondern balletöse, von SM-Erotik grundierte Familienaufstellung. Und eher fade rollt die Szene von Salomes Schlussgesang ab, nämlich zwischen multipel aufgereihten Keramikköpfen, ganz als wäre man in einer piekfeinen Auguststraßen-Galerie.
Jennifer Holloway singt und spielt die Judäaprinzessin tapfer. Ihre Leistung ist kaum ausreichend. Zu leise, zu unstet, zu anglophon die Aussprache (Catherine Fosters langjährige, was anglophone Aussprache angeht auch nicht gerade zimperliche Brünnhilde hat mir erfolgreich die Bayreuther Radioübertragungen vergällt), ohne die Bühnenpräsenz von Stundyte. Freilich mag man Holloway als Einspringerin (für Stichina, auf deren Aussprache ich ohnehin weder gespannt noch neugierig war) entschuldigen.
Thomas J. Mayer ist optisch und akustisch die Hauptattraktion des Abends. Mayer war schon im Frühling als einspringender Mandryka richtig gut. Sein Prophet ist wild, beileibe kein lasches Bibelbiest, und Mayer singt ohne falschen Aplomb, kantabel wuchtig, durchaus herb, ziemlich modern, ohne Mätzchen. Es ist Neuenfels dafür zu danken, dass der Prophet an der Staatsoper nicht aus der im Text vorgesehenen Zisterne, d. h. nur hallend hörbar, singen muss.

Den Herodes gibt Nikolai Schukoff operettig und und imponierend höhensicher, aber ohne Raffinement. Die Herodias macht Marina Prudenskaya zur effektvollen Bühnenperson, als vokalen Beifang gibt es giftig schillernde Höhen, wenngleich Neuenfels die als Gattin und Mutter leidende, als Rächerin triumphierende Palästina-Königin zu einseitig als hysterische Schlampe sieht.
Keine Salome käme auch nur zehn Sekunden weit ohne die fordernden Nebenrollen.
Den Narraboth gibt sehnig deklamierend, zwar klangfarblich frugal, aber 1a wortverständlich Stephan Rügamer. Ordentlich schlägt sich als verliebt verängstigter Page Natalia Skrycka. Cool der Turban Narraboths, cool der monströse Pagenschnitt des Pagen. Hier wird die Geschlechterunbestimmtheit einmal passgenau umgesetzt. Die palavernden Juden (Magnus Dietrich, Michael Smallwood, Matthew Peña, Andrés Moreno García, Frederic Jost, allesamt brillant) zählen wie stets zu einem der Höhepunkte – in den sich die zwei Nazarener im Tone milden Enthusiasmiertseins einklinken (Carles Pachon, Ulf Dirk Mädler). Zudem bevölkern Soldaten (David Oštrek , Friedrich Hamel), ein Cappadocier (Frederic Jost) sowie ein Sklave (Maria Hegele) die Szene. Hübsch passt dazu nicht zuletzt das penetrante Schwarwenzeln der von Neuenfels hinzuerfundenen Figur des Oscar Wilde (Christian Natter).
François-Xavier Roth? Nach einer Stunde verliere ich die Lust an dem stählernen Tutti, am starren Tempo, am pedantischen, wenn auch von sinnvollen Details angenehm erfüllten Strömen. Etwas starr, sehr genau, etwas vegan, etwas trocken. Dieser Strauss klingt, als hätte Schönberg bis 1970 gelebt und in den 60ern komponiert wie Strawinsky. In der ersten Vorstellung gab es ein Buh für Roth, in der zweiten überwogen die Bravi der Parteigänger.
Wenig besucht.
Ich muss sagen, neben Strauss hat Massenets Hérodiade durchaus ihre Existenzberechtigung.
Für mich passte das gestern, Roth und die Salome.
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Hab‘ das Stück nur ein Mal gesehen, mit Ute Walther an der Deutschen. Und dann viel später eine Probe dort, mit Michael Volle als Jochanaan. Allein das war es wert, um dessen Arbeitsweise zu sehen. Was soll ich jetzt machen, fragt er, besser so, oder so ?
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Ihr Urteil kann ich nicht nachvollziehen. Mir haben sowohl Holloway als auch der Dirigent zugesagt.
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