In Würde ergrauter Vollbart, wettergegerbtes Gesicht: Den Dirigenten Andrew Davis umweht die Aura eines Schiffskapitäns, der Kap Hoorn oft umrundete. Der Brite dirigiert im Großen Saal der Staatsoper die Staatskapelle Berlin an Barenboims statt, der Unter den Linden immer abwesender scheint.
Tempo und Tutti bei Haydns Sinfonie Nr. 94 sitzen. Die Staatskapelle klingt spontan und frisch, aber eben auch kernig und griffig. Davis ist jemand, der seine Erfahrung hinter jovialer Hemdsärmligkeit verbirgt. Die Folge ist, dass diese vertrackte Londoner Sinfonie verführerisch einfach klingt. Wie im Kopfsatz: dreimalige Exposition des Themas, zwei entzückende Nebenthemen, dann das kraftvolle Drama der Durchführung, die verknappte Reprise, das war’s.

Für die Gemächlichkeit des Andante hat Davis den Witz mit der Drehung zum überraschten Publikum beim „Paukenschlag“. Dann der ländliche Humor des Menuetts und die schlanke Energie des Finales, das Haydn über ein Modulations-Chaos in den sicheren G-Dur-Hafen lenkt. Das ist sehr schöner Haydn. Im Finale lässt Davis‘ Rechte kein Viertel aus, während die schlenkernde Linke von Zeit zu Zeit die Violinen ermuntert.
Die Enigma-Variationen spult die Staatskapelle allerdings so rasch ab, dass die Regengüsse der Troyte-Variation (Nr. VII) in aller Schärfe niederprasseln. So geht gerade die berühmte Nimrod-Variation (Nr. IX) nicht zu Herzen. Zwar treffen die Holzbläser das liebliche Stottern der Dorabella (Nr. X) bestens. Im Final-Allegro freilich haut Davis auf die Pauke. Man kann von Krach ohne Inhalt sprechen. Vermisst man Barenboim?
Schmerzlich.
Was das Rachmaninowkonzert angeht… Für Musik mit Bezug zu Russland interessiere ich mich wieder, wenn jemand Русскій воєнний корабль, іді, na, Sie wissen schon, vertont.
Ich finde es erschreckend kleingeistig, wie der Autor den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine instrumentalisiert, um deshalb sämtliche „russische“ Musik in Sippenhaft zu nehmen und zu canceln. Das ist doch ein Schlag ins Gesicht des Exilanten Rachmaninow, der vor der Oktoberrevolution in die USA floh und nie wieder nach Russland zurückkehrte. Was hat der mit den Verbrechen Putins zu schaffen? Und sollte man dann nicht dauerhaft sämtliche deutsche Musik verbieten? Schließlich übertrifft nichts das Menschheitsverbrechen des Holocausts. Weg mit Beethoven, Brahms, Schumann, Wagner, Strauss! Alles abschaffen!
Mir ist diese Haltung gänzlich unverständlich und allzu oft scheint es mir, dass Menschen die Situation nutzen, um ihre persönliche Abneigung gegen alles Russische auf sozial akzeptierte Weise auszuleben. Mich macht so eine Denke unendlich traurig.
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Vielen Dank für Ihren Kommentar.
„persönliche Abneigung gegen alles Russische“ > Ich habe während Corona massenweise Rubinstein, Glasunow und Medtner gehört und Tschaikowsky-Partituren gekauft. Es geht gerade einfach nicht.
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In der Tat. So ein Schwachsinn
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Ich höre noch Schostakowitsch und Co, kann den Autor andererseits aber sehr gut verstehen.
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Warum macht es keinen Spaß, die berühmten Stücke der Menschheit zu üben ?
Weil man nach einer Seite das wesentliche weiß ?
Nach einer Saite Hammerklavier ging’s mir genauso : ich hatte genug.
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Neues Horn bei Philiies :-): https://www.berliner-philharmoniker.de/orchester/musiker/paula-ernesaks/
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Machen die Wiener sowas auch? Oder kommt’s denen auf die Musik an, ganz ohne aufgblosns Ego?
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ganz wahrscheinlich nicht, aber auf die Wiener Art
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