Mit Turandot hat die Staatsoper einen Volltreffer gelandet. Tolle Besetzung, ungewöhnliche Inszenierung, die Staatskapelle in Bestform. Regisseur Philipp Stölzl setzt auf eine riesige Marionette und uniforme Gesellschaften. Gott sei Dank verzichtet eine Regie mal auf holzgetäfelte Großbürgersalons und Echtwasserpools. So strahlt Puccinis letzte Oper in neuem Glanz.
Drei Finales hört der Zuschauer. Jedes rollt wie eine glühende Walze aus Klang heran. Zubin Mehta dirigiert mit papiernen, brüchigen Bewegungen. Und holt aus Puccinis fabulöser Partitur Hitze, Sinnlichkeit und Farbpracht des Orchesters. Puccini klang selten so klar und kraftvoll durchleuchtet. Alles fließt. Die Piani der Holzbläser haben im Großen Saal der Staatsoper zarten Biss.

Stölzl setzt auf eine bühnenriesige Marionette. Sie dient als visuelles Motto dieser Inszenierung. Zugleich ist sie traurige Narration eines traurigen Schicksals. Zuerst huldvoll lächelnde Prinzessin, zuletzt grässlich totenkopfgrinsende Gliederpuppe. Aller Puccini-Ehren wert ist, was heute gesungen wird. Keine Stimme wankt, kein Timbre schwankt (und keine Intonation wackelt). Elena Pankratova hat einen Geysir aus kühlem Eis in der Kehle und singt dennoch ein glühendes, berührendes zweites Finale. Murat Karahan ist weniger Macho als Premierenbesetzung Eyvazov. Er findet Piano-Töne, wo Eyvazov rabiaten Erotizismus exponierte. Nessun dorma: Bei Eyvazov glänzten mehr Sterne. Bei Karahan klopft mehr Herz.
Psychologisch glaubhaft sind Puccinis Operpersonen eher nicht. Spannend ist die Geschichte trotzdem. Olga Peretyatko verpasst der allzu bescheiden liebenden Liù mit wallendem Albino-Haar ein Porträt ganz ohne sanftmütige Submission – und liefert ein schärferes, persönlicheres Porträt als Garifullina zur Premiere. Zu schwelgerischem Stimmprunk kommt es in der Rätselszene. René Pape liefert als blinder Vatergreis machtvoll samtige Massivität. Kurz zuvor war Pape noch von der wenig souveränen Staatsopernleitung im besten Oberlehrer-Stil öffentlich zu einer Richtigstellung wegen Twitter-Äußerungen gezwungen worden.
Ein Pluspunkt der Stölzl-Interpretation: Der selbstgewählte Gifttod der Turandot im 3. Akt fügt sich ohne Verbiegen des Texts ein.

Hörfreude bereiten auch Gyula Orendt, Andrés Moreno García und Siyabonga Maqungo als agiles Ministertrio Ping, Pang und Pong. Ein autoritativer Mandarin ist David Oštrek – und hat auch seine helle Freude bei der Folterung der Liù. Und heute hat auch Siegfried Jerusalem. den ich als Student Jahr für Jahr beim österlich-konzertanten Parsifal mit Waltraud Meier im Herkulessaal gesehen habe, wenig Probleme mit dem Timur.
Ist dies doch die letzte Oper, die Mehta Unter den Linden dirgiert?
Die bravourös singenden, wenn auch nicht immer genauen Chormassen sind als Einzelpersonen erkennbar und formen doch von Mitleid, Sensationsgier und Blutlust gesteuerte Kollektive.
Zubin Mehta beim Jubel: hager, wendig, engschrittig, gelöst.
Besuchte Vorstellung: 8. Juli 2022
Mehr Turandot-Bericht: „Auf musikalisch phänomenalem Niveau“ (Clemens Haustein), „Intelligente Perspektive, ekstatische Kraftentfaltung“ (Wolfgang Schreiber)
Kein Buh für Pape?
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Wegen Papes New Yorker Äußerungen? Nee, im Gegenteil. Weiß auch nicht, warum Institutionen wie die Staatsoper sich berufen fühlen, öffentlich moralische Persilscheine von den von ihr Engagierten einzufordern. Bin weiß Gott gegen den Krieg, den Russland führt, aber Netrebko öffentlich zwingen zu wollen, sich von der russischen Regierung zu distanzieren, ist genauso fragwürdig wie das öffentlich erzwungene Mea culpa Papes bezüglich seiner Äußerungen zur Pride-Veranstaltung.
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Meine volle Zustimmung
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Ja nun hat die Met schon Domingo, Kaufmann und Netrebko hinausgeworfen, alle aus verschiedenen Gründen. Nun auch noch Pape sich selbst, der aber ehrlicherweise eh schon länger nicht mehr regelmässig dort gesungen hat, wenn ich es richtig sehe.
Mein einer Sohn warf dem andren letzthin vor, er höre Rechtsrock von Rammstein. Da konnte ich nur sagen : hör dir mal Rene Pape an, der hat mit denen mal durchaus wohltönenden Crossover gemacht. Mehr weiß ich nicht davon, schon gar nichts politisches.
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Also daß die Peryetatko die viel bessere, weil gefühlvollere und technisch überlegene Sängerin ist, dürfte jedem klar sein, der nur in der Nähe des Nollendorfplatzes wohnt. Die beste Gilda, die ich in 30 Jahren gesehen habe. Für die Traviata leider ein bißchen zu brav. Die Kurtisane nimmt man ihr leider nicht so richtig ab. Kann die denn aus einer schlechten Oper eine gute machen ?
Und wer nennt denn seine Tochter schon Aida ? Olga ist ganz normal.
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Übrigens habe ich mich vertan, was Barrie Koskies Aktivitäten in Amsterdam angeht. Er wird nicht die Gassenhauer Boheme und Butterfly dort inszenieren, sondern Turandot und das Trittico. Wenn er die so ähnlich macht wie die Tosca, könnte das ja ein Grund sein, mir eine eigentlich schlechte Oper zum zweiten Mal auf der Bühne anzutun. Vielleicht versteht man dann was besser.
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Wann immer man Pape als Sarastro in der Everding-Inszenierung sah : am Ende klatschte er nie mit allen andren pflichtgemäß ab, sondern ging vorbei und blieb, was er immer war : ein Ausnahmesänger, der sich nicht mit dem Mittelmaß gemein macht.
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Dirigenten Lotterie in Bayreuth. Einer raus, der andere rein .
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Poschner Tristan? Jessas. Dann doch lieber Schager.
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Oder Siegfried Jerusalem, der kennt das in und auswendig
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Barenboim ist ein Könner. Fast ein Chemiker, sozusagen.
Der nimmt, was funktioniert.
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