Wie klingt Berlin? Das Konzerthausorchester geht die Frage pragmatisch an. Und zwar im Rahmen des Mini-Konzerthaus-Festivals Sounds of Berlin.
Ich höre am Freitagabend Werke der Berliner Komponisten Jost, Nemtsov und Encke. Am besten klingt Nemtsov, am zweitbesten Encke.
Aus Urbanica von Christian Jost steigt ein gut geölter Berlinklang. Filmischer Schwung ist wichtig. Aber die Einzelstimme zählt nichts. Das ist ein Fehler. Ich denke verwundert: So viel kultivierte Wildheit gibt’s selbst in Berlin nicht. Dann scattered ways von Sarah Nemtsov (2015). Es ist präziser. Zugrunde liegt Emily Dickinsons Gedicht We met as Sparks — Diverging Flints / Sent various — scattered ways. Das Stück ist von einer stupenden Überklarheit. Die Texturen feinnervig. Das Timbre scherbenähnlich. scattered ways ist durchdacht und gleichzeitig spontan; übersubjektiv und zugleich engagiert in jedem Augenblicksteil.

Das Gequatsche mit Jost, Nemtsov und Encke (fröhlich und patent am Mikro: Dorothee Kalbhenn) zwischen den Stücken füllt die Umbaupausen. Denn dann kommt Throsten Encke und sein tecnología. Das ist sehr gut gemacht, wirkt mitunter aber beflissen. Gleiches gilt für die Streichquartettpassagen. Aber es überraschen auch Passagen packender Klangphantasie. Das verstärkte Vision String Quartet finde ich zu laut. Auch dies ist eine Uraufführung. Die überlaute, doch bejubelte Zugabe der vier Jungs vom Vision-Quartett übertönt nachwirkend leider die Uraufführung von tecnología. Gute Idee, die das Konzerthaus da hatte, mit „Sounds of Berlin“ unterschiedlichste Formate in einem Berlin-affinen Mini-Festival zu bündeln.
Wie klingt Berlin? Gibt es in Berlin eine Klassikveranstaltung neben Unerhörter Musik und Philharmonikern, die einfach ALLES streamt? Das Ensemble unitedberlin spielt bei Unerhörter Musik einen Konzertabend cooler Unaufgeregtheit. Der unnachahmliche Charme Neuer-Musik-Veranstaltungen ist sofort da, sobald klar ist, dass die Stückfolge komplett umgeworfen wird. Aber man kann ja live beim Veranstalter im Chat nachfragen. Zuerst also Christoph Breidlers entspanntes Graffiti (2021). Das Werk hat die Ruhe weg. Es ist locker gewebt. Neigt eher zum Unklaren, Nachdenklichen. Ist nicht im geringsten auf Außenwirkung bedacht. Ich höre nur auf Dauer zu sehr, wie es gemacht ist.

Dann von Jobst Liebrecht das fünfzehnminütige amherst chambers (2010), dreizehn kleine Sätze in Variationenform, in denen eine Art schräger Lockerheit Trumpf ist, außerdem aber noch ein feines Kräftespiel aus dezentem Stocken und ebenso dezentem Vorwärtsdrängen sich hörbar macht, wo da eine kahle Sparsamkeit stückbestimmend wird. So was höre ich gerne. amherst chambers nimmt wie Nemtsovs scattered ways Bezug auf Emily Dickinson. Einfacher tönt von Rainer Rubbert Saudades III (2020). Auch simpler gestrickt. Kurz nach der Mitte dann das Zitat aus der Introduction des Sacre. Es ist eine UA. Zuletzt kommt Coffee and Tea (2013) von Ying Wang, eine wenig Neues bringende Studie zum Thema Ost-West-Kulturinspiriertheit. Ein Abend aus dem BKA-Theater, der komplett ohne „Brizzelbrazzel“ auskommt (Zitat Gordon Kampe). Christoph Breidler leitet.
Wie klingt Berlin? Wie klingt Polen? Und nochmal „Unerhörte Musik“, wo die Polen von Kompopolex gastieren und elektronische Musik aus Deutschland und Polen spielen. Drei Leute. Drei Sampler. Plus ein bisschen Perkussion und Akkordeon. Ich hoffe, ich habe verstanden, welche Stückfolge die richtige ist. In Ole Hübners trauma und zwischenraum 3 (2021) stauen sich Elektrosounds. Man initiiert Bierdosenglissandi. Das klingt so frei wie eine sich selbst überlassene Herde weidender Kühe. Es fehlt etwas die Bündelung. Dann ist das Stück schon zu Ende. Kurze Ansprache von Rafał Łuc. Sie kommen aus Breslau. Freuen sich, im BKA-Theater zu spielen. Kündigen eine deutsche EA an. Spielen von Aleksandra Gryka PLASTIC (2021) für drei Sampler. PLASTIC ist kürzer getaktet, reiht dunkles Wummern und elastische Rhythmusstrecken. Aufregend. Nicht ganz so aufregend dann we speak von Neo Hülcker (2019). Lustig – aber auch verspielt. Zu ausprobiererisch.

Der Komponist Piotr Peszat schichtet im folgenden Untitled Folder #3 (2017) Sprachbruchstücke mit subtilen Klangkonstellationen und läuft zum Schluss in Form einer Dauerschleife ins Leere. Ganz OK. Definitiv cool dann aber Rafał Ryterski New Work (2021, habe den exakten Stücktitel nicht verstanden), das im Dunkeln gespielt wird, erst mal entspanntes Fließen entwickelt und nach Sprech-Einspielern einen Gang hochschaltet. Die Soundstrecken bilden scharfe Grate aus, streben linear voran. Sehr gut. Ein Konzert, das Understatement, Coolness, gedankliche Schärfe liefert. Jacek Sotomski habe ich noch vergessen. Sitzt am Sampler. Gehört und verfolgt via Livestream.
Phillies mit Bychkov waren genial!!
Lohengrin btw auch
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Freut mich. Höre mir das neue Larcherkonzert in der Digital Hall an. Die Lobeshymne von C. Peitz lässt Schlimmes erwarten.
Hat der Schager eigentlich am Samstag gesungen? Hab ihn gestern als Samson gehört. Müsste ja mMn verboten werden, so was von Sängern abzufordern, v.a. da der Samson ganz schön fordernd ist. Geh vielleicht in den Offenbach an der KO.
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Seefried. Fast besser wie mit Werba
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So lass uns lieber von der Liebe reden
wie einst im Mai
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Junge, Junge. Mein preussischer Sohn weist mich neuerdings immer darauf hin, daß es nicht besser „wie“, sondern besser „als“ heißen müsse. Genauso sagt er aber ganz bürokratisch, er „nutzt“ anstatt benutzt etwas. Wo das nur hinführen soll ?
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weiche, Wotan, weiche
den Witz kennen nun sogar meine Kinder
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Eigentlich klingt Berlin gar nicht. Dies ist eine Stadt voller verkopfter, arroganter, selbstgewisser Leute, die außer zwei Weltkriegen nichts besonderes über die Menschheit gebracht hat.
OK, den Otto Lilienthal gabs auch noch, deswegen gehen meine Kinder da aufs Gymnasium. Mal sehen, was die dort lernen. Not yet sure.
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Gibt’s denn einen berühmten Berliner Komponisten ? Außer vielleicht Eduard Künneke ? oder Paul Lincke
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oder Fredrick Loewe, der bei uns um die Ecke in der Kadettenanstalt erzogen wurde :
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OK, das muß jetzt auch noch sein, again :
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