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Brucknersinfonien zählen zu den Kronjuwelen des Repertoires.
Doch warum muss man Bruckner partout mit Mozartkonzerten umhegen? (Herr Barenboim??) Besser ist, Zeitgenössisches voranzustellen.
Surcos („Furchen“) des Briten Simon Holt ist ein kurzes, einsätziges und interessantes Stück. In ihm schlägt ein mürber, asymmetrischer Grundpuls (Blech, Harfe). Erst nach einer Weile kommt es zu polyphonen Gefechten glühend virtuoser Streicherrezitative (Das ist geniales Streichergewurschtel). Die kleine Flöte (nicht Egor Egorkin, sondern Mathieu Dufour) unternimmt kühne Einwürfe. Der Grundpuls (schleppend! Harfe!!) meldet sich zurück. Das leise Blech: träge wie ein Eisberg. Aber Ostinato-Passagen bilden Höhepunkte, einmal der Streicher, dann der Blechbläser. Es ist eine Uraufführung. Die Faktur von Surcos ist leicht. Die Berliner Philharmoniker spielen transparent und intensiv. Dass die inneren Dimensionen – wie die äußeren – nicht unübersehbar groß scheinen, mag an zentraleuropäischem Geschmack liegen, der an den expressiven Verdichtern Rihm und Zimmermann geschult ist. Mahler- und Straussassoziationen helfen dem Stück nicht wirklich. Allerdings ist das kurze, einsätzige Surcos ein sehr interessantes, latent kommunikatives, ein klitzekleines bisschen ein konservatives Stück.
Die Sinfonie Nr. 8.
Die Zusammenfassung im Telegrammstil könnte so klingen: Der Kopfsatz bannend-genial, das bissige Scherzo herrlich unverqualmt, das Adagio schwefelgelb schwelend vor Intensität, das Finale wohltuend gedrängt, scheinbar aus einem Impuls entwickelt. So kann man den jüngsten Brucknerabend mit Simon Rattle beschreiben.
Details, die haften: die einen Moment ins Zeitlose dehnende Pianissimo-Coda des Kopfsatzes. Der lässig-leutselige Schwung der Nebenthemen in Trio und Finale. Und voll dunkler Wucht die Celli und Bässe im Adagio (das fff nach dem letzten fff-Höhepunkt des Orchesters) und im Finale. Unsagbar reich die Kulminationsstellen (Reprise im Allegro moderato). Ach ja, fast vergessen: der schier überwältigende Artikulationsreichtum der Geigen.
Achtung, echter Rattle!
Ansonsten war es ein echter Rattle-Bruckner. Aufregend ist, dass ein Sinnkern die zahlreichen Themenkomplexe der Ecksätze durchzieht. Dann die bis zu greller Buntheit gesteigerten Farben (was dem Scherzo guttut, im Adagio und Finale für ungewohnt komplexe Hörerlebnisse sorgt). Sodann werden Resignation und Tragik radikal mit subjektiven Gehalten gefüllt. Dazu zählt auch der bis hart an Mahlersche Ausdrucksregionen vorgeschobene Lyrismus des Adagios.
Das fauchende Brüllen der Tutti-Extasen bei Rattle weist weit voraus. Ach übrigens, In diesen Stellen vollziehen sich brennpunktartig die Entgrenzungen der Moderne. Adieu, du Vorstellung vom Landei Bruckner. Adieu, du falsche Vorstellung vom biederbösen Gründerjahrepomp Bruckners. Abschiednehmen war niemals leichter! Und, oh Freude, ich höre keinen penibel nachbuchstabierten Partiturwälzer (175 kleingedruckte Seiten in meiner Haas-Edition von 1939), sondern Musizieren von ohrenschlackender Intensität.
Der Kopfsatz ist eine der schnellsten von mir in den letzten Jahren gehörten.
Bin heute Abend, Podium
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Pingback: Tinnitusriskant: Berliner Philharmoniker und Rattle spielen Simon Holt und Bruckner – hundert11 – Konzertgänger in Berlin
Volle Zustimmung, lieber Zeitgenössisches zu Bruckner. Holt war sehr reizvoll, hätte ich gern gleich nochmal gehört. Dem Bruckner konnte ich trotz tobenden Saals wenig abgewinnen, war mir einfach viel zu laut.
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Sie Armer, eine Achte von Bruckner, die nicht gefällt, dehnt sich für gewöhnlich zu übler Länge. Im Übrigen wurde wenig gehustet, wenn ich einmal eines Ihrer Kernthemen besetzen darf. Jaja, sie haben recht, es war sehr laut, und wahrscheinlich hätte man das auch ab und an leiser machen können. Andererseits ist fff nun einmal fff, und beim BPO weiß man ja sehr gut, wie man ein dreifaches Fortissimo als Klang spielt. Interessant und lustig, dass Sie den Beginn des Adagio loben. Da bin ich komischerweise für fünf Minuten ausgestiegen.
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Der Soloflötist war übrigens Emmanuel Pahud, nicht Mathieu Dufour
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Wirklich? Dann danke für den Hinweis. Ich habe ihn meist im Profil gesehen.
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Also wirklich, das habe ich sogar von den Stehplätzen aus gesehen, dass das Pahud war :-)
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Super Konzert.
Der Applaus für Simon Holt war auffallend herzlich, doch kurz.
Überigens war meine Konzentration während des herrlichen Adagios nachhaltig gestört durch die Unannehmlichkeiten, die Naoko Shimizu, die Solobratscherin, mit ihrem Instrument hatte :-)
Die Kritik an den übertriebenen Lautstärkegraden kann ich nicht nachvollziehen. Aufmerksamen Zuhörern konnte kaum entgehen, dass das Orchester jedes Diminuendo akribisch befolgte, ebenso den Unterschied zwischen einem Piano und einem Pianissimo. Und ja, es ist immer wieder faszinierend, wie lyrisch und genau die Berliner Philharmoniker musizieren können.
Ein wundervoller Konzertabend!
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„Naoko Shimizu“ – in der Tat, man war ganz abgelenkt. Sie handwerkte zuerst rum, dann wirkte sie resigniert, schließlich aber gings los mit der Reparatur. Es ist aber auch Pech, wenn so etwas in der ersten Reihe passiert und der ganze Saal zuschaut. Rattle stieg in der kleinen Pause vorm Finale vom Podest runter und hat sich erkundigt. Löblich.
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Sorry, aber das war mir alles viel zu hektisch, zu laut. Zappelphillip-Musik dirigiert von einem Chef, der nichts, aber auch gar nichts von Bruckner versteht.
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Da bin ich aber erleichtert, dass es nicht nur mir so ging.
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Das habe ich auch so gehört. Eine Materialschlacht der übleren Sorte, ausgeführt von einem zu Höchstleistungen gekitzelten Virtuosen-Orchester.
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Also ich fand auch das Adagio packend. Das Tempo war überraschend schnell, aber nicht ganz so eilend wie Jochum. Das ist mal was anderes als die zähen Geschichten wie zum Beispiel von Thielemann. Auch Blomstedt dirigierte die B. Philharmoniker vor einigen Jahren gemütlicher. Nahm Rattle die Siebte von Bruckner nicht ziemlich lahm? Aber vielleicht täusch ich mich auch. War nur mein Eindruck damals.
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Thielemann zäh? Wo haben Sie das denn her? Außerdem ist Thielemann durchaus imstande, verschiedene Tempi zu wählen.
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Bin grad zurück. Gigantisches Konzert!
Wurde nach hinten zu immer besser.
Das Finale ging durch die Decke. Unbeschreiblich.
Und die Berliner Philharmoniker gehen vom Podium, wenn die Leute sich grad zu , Standing Ovations entschließen. Das ist auch cool.
Wenn das nicht mal eines der besten Konzerte war, die ich besucht hate
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Ich war Freitag und Montag im Konzert und hatte das Gefühl, dass Rattle am Montag noch schneller war.
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