Das DSO ist 75. Für Orchester ist das kein Alter.
Ich komme gleich zum Wichtigen.
Die Fantasia (1910) von Ralph Vaughan Williams gelingt Ticciati mitreißend. Der Dirigent gewährleistet Druck und Präsenz. Fantasia ist unverkennbar englisch, aber unverkennbar kein Elgar. Aber ein Werk des Ernstes, und der Hoffnung. Das folgende Sudden Time (des Briten George Benjamin) wirkt anregend durch Ereignisreichtum. Sudden Time ist geschmeidig zeitgenössisch, dabei bietet es reizvolles Orchesterspektakel und wird vom Deutschen Symphonie-Orchester auch kenntnis- und könnensreich dargeboten. Ich höre die Konzertübertragung im Kulturradio.
Dvořák komponierte 1883 ein Scherzo cappriccioso. Das ist nicht ganz so bekannt, aber es ist Musik von wunderbar romantischem Sensualismus mit einem slawischen Klecks Sehnsucht – und Musik von großer sinfonischer Ausgelassenheit. Dvořáks Klang ist hier unheimlich frei und spezifisch, und das DSO spitzt ihn fortlaufend an. Diese improvisierten Jazzeinlagen (Rolf Zielke, Stephan Braun ) finde ich dröge. Improvisieren ist eine gute Idee. Ich träume davon, dass dabei etwas herauskäme, das wie extrovertierter Andrew Norman klingt. Nicht so nett wie das heute Abend. Aber bitte einfach weiterausprobieren.

Es ist ein prächtiges Programm. Fünf Stücke, jedes trägt frei nach Schnauze und paritätisch zum Konzertgenuss bei, kein Stück trägt Hauptwerkbürde, kein Stück fristet in der Nebenwerkecke. Waren die Mischprogramme des 19. Jahrhunderts doch nicht so schlecht? Und nebenbei verkündet man so Abwechslungsreichtum und Artenvielfalt.
Das Programm wird einfach nicht schlechter. Poème von Chausson (1896) entfaltet zwischen Romantik und Impressionismus seine nicht unerheblichen Reize. Lisa Batiaschwili erlebe ich makellos und filigran und kühl, wie nur sie das kann – und unbeteiligt. Sie spinnt eher Jugendstilklangfäden, als dass sie sinnlichen Klangzauber entfaltete. Dem DSO fehlt hier die Lässigkeit oder die Übung mit Chausson. Und bläst den Höhepunkt zu sehr auf. Der Don Juan von Strauss zeigt, wofür das Orchester – vielleicht auch jenseits von Chefdirigentenamtszeiten – steht. Beim DSO sind Stimmschichtungen, Farbverfeinerung, Detailsichtbarkeit wichtiger als Klangverschmelzung und ekstatische Kugelblitzexplosionen. Der Beginn bei Don Juan: hektisch, kurzatmtig, aber ohne Klangfeuer-Elan. Dann zeigt die Aufführung, was Ticciati und das Orchester können. Kein Selbstzweckschönklang. Wunderbar locker, dabei genau im Klang und überraschend geradlinig ertönen die Episoden von zweiter und dritter Geliebten (wenn es denn stimmt, dass Strauss in der Exposition drei unterschiedliche Amouren Don Juans schildert). Mann, was hat der Ticciati da plötzlich für Zeit.
Dieser Don Juan hat die Intelligenz von Debussys La Mer. Rattle lag das Stück nicht so. Petrenko hat jüngst zwei wirklich fantastische Versionen abgeliefert. Ticciati & DSO stellen dem jetzt was Höchst-Eigenständiges entgegen. Herr Ticciati! Man hätte Anlass-entsprechend auch mal eine Zugabe spielen können. Smetanas Polka Našim děvám. Oder Berlioz Rákóczi-Marsch.
Weitere Kritiken: „Jubiläsmiert: 75 Jahre DSO“ (Hundert11), „Für immer jung und wild“ (Frederik Hanssen)
Also diese aprogrammatischen Mischprogramme, das ist nichts für mich. Aber toll, dass Ticciati sich bei so einer Gelegenheit nicht mit Allzupopulärem anbiedert.
Trau’s mich kaum zu schreiben, mir haben die beiden Jazzer ja fast am besten gefallen.
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Wie spricht man „Jazzer“ als Preuße richtig aus ?
Es gibt keinen Ersatz für ein Jot.
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Das hat der Smetana beim jungen Verdi abgeschrieben !
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Die Polka meine ich.
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Dvorak komponierte auch noch ein wunderbares Te Deum. Da sang ich vor ca. 65 Jahren den volltönenden Baß, als Winfried Radeke noch den FU-Chor dirigierte. Danach war meine Sängerkarriere allerdings leider beendet.
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Der Radeke schleppte eine wunderbar singende junge Sopranistin an, die leider in der Philharmonie Angst bekam und die Stimme verlor. Kann man ja auch keiner verdenken.
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Edita
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