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Was macht Barrie Kosky aus La Bohème, dieser Oper hoffnungsloser Liebe und unendlich bezaubernder Arien?
Kosky macht Ernst mit dem ganzen Elend. Er schmeißt den seichten Herzschmerz-Plunder, der nicht weh tut, raus. Barrie Kosky lässt scharfe Puccini-Frischluft ein. Dabei sieht, was er zeigt, fast konventionell aus: hier die bitterkalte Mansarde mit dem unvermeidlichen Bollerofen, dort das weihnachtsabendliche Café Momus mit Tischchen und flitzenden Kellnern (Bühne: Rufus Didwiszus).
Und doch ist die Bohème an der Komischen Oper vor allem eines: schnell, intensiv, tiefgründig.
Denn die Menschen bei Kosky sind anders. Die aufgekratzt juxenden Künstler mag man noch unter die Must-Haves der Bohème-Ikonographie verbuchen. Aber schon die anarchische Feierwut der Menge am Ende des Momus-Akts geht über das Gewohnte hinaus. Vollends neu ist die bedrückend menschenleere Straße an der Barrière d’Enfer, wo sich ein vergilbtes Foto im Hintergrund bühnenfüllend aufspannt. Da ist auf einmal das grausam-graue Paris jenseits aller Postkarten-Nostalgie und allen Montmarte-Tingeltangels.
Gewieft setzt der Operndeuter Kosky auf melodramatische Zuspitzung. Derber hustet keine Mimì, sehnsüchtiger (1.Akt) und todgeweihter (4. Akt) streckt keine lungenkranke Näherin ihre Arme aus. Hübsch auch, wenn in Akt 3 die unschön dauerzoffenden Marcello und Musetta sich vor der Kneipe urplötzlich verzweifelt küssen. Das ist doch was anderes als der leicht verdauliche Beziehungsstress, den man bei 08/15-Bohèmes von der Stange sieht.
Aber an der Komischen Oper steht ein Singpersonal zur Verfügung steht, das herzzerreißend jung klingt – und spielt.

Da ist der klar konturierte, berührende, feine Sopran der Mimì von Heather Engebretson, der Lebenslust und Todesangst ausdrückt und mit schmerzlicher Intensität in höchste Höhen klettert. Überhaupt diese Mimì. So rückhaltlos liebend, so krankhaft schüchtern, unbeholfen leidend und anrührend selbstbewusst rennt dieses tapfere Persönchen über die Bühne, dass man nicht recht weiß, ob das noch Kosky ist oder schon Engebretson. Eine mitreißende Interpretation.
Da ist der Rodolfo von Jonathan Tetelman, ein junger Kerl, der ausschaut wie der Tenoritaliener vom Dienst, im stoffeligen, sanftvioletten Cordanzug. Die Händchen-Arie legt er tenorweich und schonungslos jugendlich hin. Die Spitzentöne werden noch gestemmt (hört sich ungesund an), danach aber klingt Tetelman frisch und frei. Die markante Stimme ist viril timbriert und tönt durch und durch lyrisch, verfügt zudem über jenen Schuss Unbekümmertheit, den ein Rodolfo haben muss. Der Marcello, hier Fotograf und nicht Maler, ist bei Huw Montague Rendall (in Akt 3 mit lebergefährdender Neigung zum Bordeaux) in starken Bariton-Händen. Das Quartett der unglücklich Liebenden vervollständigt Hera Hyesang Park als attraktiv-temperamentvolle Musetta, deren Lockgesang der Pracht ihres Kleides in nichts nachsteht. Ihr bruciore (im vorgespielten Schuhschmerz, Ahi! Qual dolore, qual bruciore!) ist eine vokale Kleinplastik von delikater Durchtriebenheit.
Den philosophischen Mantel-Besinger Colline gibt Philipp Meierhöfer, den quicklebendigen Schaunard verkörpert Dániel Foki, ein im Angesicht des Satansbratens Musetta hilfloser Alcindor ist Christoph Späth. Durchsetzungsstark erklingen die Parpignol-Rufe von Emil Ławecki. Chor und Kinderchor machen Freude.
Koskys Akzentsetzungen schärfen auch den Hör-Blick auf die Musik, die man plötzlich direkter, ohne jeden Puccini-Zucker, dafür aber näher an den Akteuren hört.
Jordan de Souza im Orchestergraben bringt Tempo in seinen Puccini, dirigiert weniger süffig als vielmehr zupackend-kraftvoll, serviert die Aktschlüsse mit Pepp, ist nur zwischendurch etwas lax, wenn er die Musiker an der langen Leine lässt, die dann frei nach Schnauze phrasieren. Und doch ist das unmittelbar einleuchtend, was das Orchester der Komischen Oper heute macht.
Kritiken der Komischen-Oper-Premiere: Die Tränen laufen (Maria Ossowski), Künstler-Oper voller Selbstinszenierungen (Volker Blech), Audio-Kritik auf Deutschlandfunk Kultur (Jürgen Liebing).
Ein Problem an der Komischen Oper sind die ungenügenden Dirigenten, einfach unbefriedigend. So auch am Donnerstag. Rubakis, Nanasi, jetzt Souza.
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Find ich nicht. Mir kommts vor, als hören viele die Dirigenten an der KO nach dem Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung. Ist ja nur die Komische Oper. Da zählt ja sowieso nur die Inszenierung. Orchester kannste vergesssen, die Dirigenten sowieso. An Nanasi wurde in Berlin kaum ein gutes Haar gelassen. Jeder raufte die Haare. Heute dirigiert er Onegin in München, Zauberflöte in Paris, Jolantha an der Met. Ist Nanasi also ein bestenfalls mittelmäßiger Dirigent? Wohl eher nicht. Jetzt das gleiche bei Rubikis. Ist Rubikis schlechter als Runnicles? Als Hindoyan? Als Zanetti? Vielleicht eben nicht.
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Lächerlich… Nanasi mit Runnicles vergleichen…
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Wir haben eine klasse Inszenierung gesehen ,in der die Handlung vom Regisseur sehr genau herausgearbeitet wird und die Handschrift von Kosky i njedem Moment sichtbar ist. Es ist immer wieder erfreulich wie Kosky einmal mehr einen unerwarteten Zugang zu einem vermeintlich bekannten Werk findet. So kann man sich als Zuschauer auf das Wesentliche konzentrieren. Besonders gelungen fand ich die Einarbeitung des Themas Fotografie ,das sich durch Personenregie, Bühnenbild und allgemeine Regie zog. Das Publikum war zurecht begeistert.
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Ich stimme dem positiven Eindruck zu, wenn mir auch der infantile Klamauk im ersten Akt etwas auf die Nerven ging und der eine oder andere Effekt zu stark am Musical orientiert war. Allerdings wartete die Inszenierung mit Details auf, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Ziemlich aufgesetzt kam mir lediglich die Foto-Thematik vor. Meine Bekannten waren gleichfalls durchweg zufrieden.
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Dass sich Musetta und Colline (nicht Marcello!) küssen, das wäre wirklich neu…
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Danke, Flüchtigkeitsfehler.
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Na denn müssen die sich aber sehr verbessert haben. War in der 3.oder 4. Vorstellung und hatte in der Pause überlegt zu gehen. Hätte ich es mal getan.
Bescheuerte Inszenierung, na ja Kosky, nicht sehr überzeugende Sänger und eine Dampferkapelle spielte dazu.
Da war Rienzi gestern um Längen besser, obwohl der nicht zu meinen Lieblingsopern und erst recht nicht Inszenierungen gehört
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Doch, die Engebretson lohnt, die hat auch im DO-Hofmann gesungen. Ich wunder mich immer, wie früh Sie immer schon aktiv sind, wenn Sie abends aus waren. War auch in Rienzi, Stölzl manchmal schwer zu ertragen, Kerl mit feiner Interpretation.
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8.08 Uhr und früh……..:-))) Na ja, ich kann dieses ewig gleiche Rumgetolle von Kosky nicht mehr ertragen, und diese Akkustik in der KO auch nicht mehr
Heute bin ich etwas leidend, muss wohl etwas im Wein gewesen sein….. nochmals nach dem Zwerg, der mich immer mehr fasziniert. Werde wohl am Freitag noch mal gehen.
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Überleg mir auch noch, am Freitag zu gehen. Mal sehen. Ist immer sehr schade, dass Neuproduktionen meist in der Folgesaison aussetzen. Heliane soll zumindest 20/21 wieder kommen.
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