Dieter Dorns La Traviata in der Wiederaufnahme an der Staatsoper Berlin.
HIER BESPRECHUNG VON La Traviata MIT KATERINA TRETYAKOVA!
Die erneute Wiederbegegnung mit Dorns Neuproduktion macht diese nicht besser. Dorns Traviata ist statisch. Wie auf einem niederländischen Stillleben arrangiert der Regisseur Memento-Mori-Utensilien: rieselnder Sand, der Totenkopf als lebendes Bild, ein Spiegel mit Trübung und Sprung. Eine Kerze brennt dem Ende entgegen. Vanitas-Bild folgt auf Vanitas-Bild. Der Chor lungert quietschvergnügt in grellbunten Kostümen herum. Statt Symbol einer gefährlich repressiven Gesellschaft ist er nichts als ein lahmes Feierkollektiv, das so wenig Feierlaune verbreitet wie eine Ölsardine.
Verdi erzählt die traurige Geschichte in knappen Bildern.
Eine Arie jagt die nächste. Das Personal jagt dem Abgrund entgegen.
Bei Dieter Dorn jagt nichts. Stattdessen schleppt sich die Inszenierung dahin, als wäre sie selbst schwindsüchtig. Zwischendurch räkelt sich Violetta auf ihrem Kissenkuschelplätzchen. Allenthalben hebt Dorn mahnend den Vanitas-Finger. Bedeutungsschwer umzingeln lehmige Ballett-Lemuren Violetta. So entschleunigt man Verdis Liebe-Tod-und-Schwindsucht-Drama zu lamentuöser Stilllebenstatik.
Gott sei Dank wird in Verdis Kurtisanendrama von der Seine auch gesungen.
Als schwindsüchtige Luxuskurtisane debütiert die beinah blutjunge Elsa Dreisig. Meist sieht man sie im schwarzen Hängerkleidchen, während sie als Kurtisane im glitzernden Paillettenfummel steckt. Dreisig besitzt ein ausdrucksstarkes Gesicht, Temperament und eine schöne Stimme. Und die klingt kräftig, farbenreich, leuchtet, auch beim oft gebrachten hohen C. Nur tragisch-fragil wirkt Dreisig nun wirklich nicht. Auch ihrem Klang fehlt (noch) der Ausdruck des Schmerzes. Agilität (immerhin gilt Violetta Valéry fachmäßig als dramatischer Koloratursopran) und Artikulation bedürfen noch des Finishs. Und die pochenden Herztöne hört man weniger an den Piano-Stellen, sondern eher im bravurös flutenden Amami, Alfredo, quant’io t’amo Addio nach der zentralen Szene mit Vater Germont. In Sempre libera entschied sich Frau Dreisig für die Version, die die vorletzte Phrase (il mio pensier) und interpoliertes hohes Es auslässt.
Alfredo Liparit Avetisyan ist genauso blutjung wie seine Bühnenangebetete. Von etwas gedrungener Erscheinung und pechschwarzem Haar, gibt er einen virilen Alfredo, der als Frischverliebter noch etwas schüchtern wirkt, im Wüten der Rachsucht und der Todestrauer aber ungemein glaubwürdig wird. Avetisyan ist ein lyrischer Tenor mit schönem Timbre, steter Klangproduktion, aufmerksam modellierten Details, raschem, kleinen, unauffälligem Vibrato und natürlicher, nur noch etwas befangener Deklamation. Kurz: ein weitgehend idealer Alfredo.
Den Vater Alfredos gibt Alfredo Daza. Dessen Germont ist eine Erscheinung, die väterliche Sorge, mitschwingende Empathie und späte Gewissensbisse bis in den hintersten Winkel des Zuschauerraumes glaubhaft macht. Dazas Stimme fügt seinem gewohnt überzeugenden Bühnenagieren emphatische Deklamation und sonor-wolliges Timbre hinzu.
Der vife Gastone, der Violetta auf Alfredo aufmerksam macht, ist Andrés Moreno García. Violettas Ersatzliebhaber Douphol, der wenig begeistert ist, dass Alfredo in seinem Revier wildert, singt Adam Kutny angemessen giftig. Für die fesche Flora zeichnet Slávka Zámečníková verantwortlich und Violettas Dienerin Annina singt die eiffelturmhohe, stets gemessen tragisch sich bewegende Corinna Scheurle. Der geschniegelte Marquis ist Grigory Shkarupa, den Doktor, der geradewegs aus einem Tim-und-Struppi-Comic zu kommen scheint, verkörpert der bärtige David Oštrek.
Massimo Zanetti entfacht am Pult der Staatskapelle ein Verdi-Feuer, das stets etwas trocken knistert, züngelt und brennt und dessen Flammen nicht in jeden Nerv der Partitur vordringen. So steigt Verdis Melodramma ohne den ganz großen melodramatischen Atem aus dem Graben der Staatsoper.
Langer Applaus für alle Mitwirkenden, nachdem nach den Arien verhalten geklatscht wurde.
Premierenkritiken der Berliner Traviata in der Regie von Dieter Dorn:
„Leise rieselt die Zukunft“ (Tagesspiegel)
„Sie ist die beste Traviata seit Maria Callas“ (Welt)
War in der ersten Vorstellung mit Dreisig.
ich war ziemlich verwirrt – die Premiere lief doch ohne Pause durch? Weiß Dieter Dorn das?
Ich habe 2015 während der ersten Hälfte der Vorstellung über den hässlichen Sack gerätselt der über dem Spiegel hing. Meine Vermutung damals: da steigt am Ende der Tod raus.
Der Totenkopf, der hinter dem Spiegel von den Tänzerinnen gebildet wird, finde ich immer noch sehr faszinierend. Da ist Dieter Dorn ohne Zweifel ein gutes Bild gelungen. Gruselig, irgendwie packt mich das.
Und von wegen Memento Mori: das ist schon im Stück angelgt Violetta gibt Alfredo die Blume die am nächsten Tag vertrocknet ist, ist also schon stimmig aus dem Stück entwicklet
Schwach dagegen Violettas Tod durchs Verschwinden im Spiegel. Wie lahm ist das denn?
Auf BR Klassik sagt die Kritikerin: Dorn zitiert hier Jean Cocteaus Film „Orphee“ aus dem Jahre 49.
Na wer weiß, vielleicht ist die Inszenierung in 10 Jahren Kult……
Dreisig ist schon gut, so viel Saft in der Stimme, so eine vollklingende Höhe.
Liparit ist auf dem Weg zum idealen Alfredo, hat fast zu wenig Applaus bekommen
Daza bewunderungswürdig, passt aber zu den Puccini Rollen noch besser
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Seltsam. Ich muss sagen, dass mir meine Beurteilung der Inszenierung im Abstand von einer Woche einseitig vorkommt. So schlecht ist die Inszenierung nicht.
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What the… Elsa Dreisig war ja wohl eine der besten Violettas
Einfach mal locker bleiben, Herr Kritiker
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Ich habe die erste Vorstellung der Serie gehört und muss sagen, Elsa Dreisig schlug sich hervorragend. Sich mit Premierenbesetzung Sonja Yoncheva messen lassen zu müssen ist schwer, besonders wenn man selbst auch noch debütiert. Nicht umsonst gilt Violetta als eine der schwersten Verdi-Partien. Ein Bonmot sagt, man brauche nicht einen, sondern drei Soprane, um die Rolle angemessen zu bewältigen. Welche Sängerin ist heute schon eine Traviata, die den Ziergesang makellos beherrscht, zumal live auf der Bühne bei den Anforderungen, die das Regietheater an die Sängerinnen stellt? Selbst die verschiedentlich als „beste Traviata“ bezeichnete Diana Damrau hat gelegentlich hörbar ihre liebe Mühe mit den verzierten Passagen.
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Sie haben Recht. Niemand singt perfekt und überhaupt ist Perfektion langweilig und selbst Callas war in einer gewissen Weise das Paradebeispiel einer perfekten Imperfektion, und eine sehr, sehr gute Violetta – um einmal von dem dummen Wort perfekt loszukommen – zu singen ist genauso schwierig wie eine sehr, sehr gute Isolde. Ja, Yoncheva war damals sehr gut.
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Es überrascht mich positiv, in einer Kritik über das interpolierte hohe Es von Sempre libera zu lesen. Leider sind solche Kenntnisse heutzutage nicht mehr vorhanden oder wenn doch, dann interessiert die Leistung die verehrten Kritiker nicht mehr. Heutzutage gilt die Regie leider alles. Der Gesang als solcher hingegen hat an Stellenwert enorm eingebüßt. Man lese sich nur frühe Kritiken von der Met durch… Im Übrigen war das interpolierte Es“‘ Anfang des letzten Jahrhunderts noch gang und gäbe (Tetrazzini, Galli-Curci). Auch Ponselle, Callas Sutherland sangen es und Damrau singt es ebenfalls.
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