Das DSO mit einem Doppelkonzert am Sonntag und Montag.

Das Konzert in der Philharmonie beginnt mit Magnus Lindbergs sehr kurzem Chorale. Das Stück variiert die bekannte Bach’sche Choralmelodie aus Alban Bergs Violinkonzert und steht zwischen Ruhe und zarter Zersplitterung.

Alban Bergs Sieben frühe Lieder sind inzwischen halbwegs bekannt. Sie entstanden um 1907. Berg instrumentiert, bereichert und veröffentlicht sie 1928. Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill, Ersatz für die kranke Genia Kühmeier, investiert für die Lieder ihre schwere, reiche Stimme. Timbre und Handhabung der Stimme sind exquisit. Schwingungsarm gebildete Haltetöne befremden nur im ersten Augenblick, sind Gestaltungsmittel.

Nacht (Hauptmann) bietet mit sicher gefasster Emphase beinah opernhaftes Gepräge. Das liedhaft einfache Nachtigall (Storm) hat hohen melodischen Reiz. Nur die vielfach geteilten Streicher spielen. Cargill dämpft die hohen Töne zu beinah meditativem Ausdruck. Wie auch in den anderen Liedern fallen Vokalverfärbungen auf, und einige Konsonanten scheinen nicht gesungen zu werden. Dennoch sind Klanggespür und Detailgestaltung vorbildhaft.

In Traumgekrönt (Rilke) umgreifen Linien den Hörer wie Lianen. Sie verweisen auf den Jugendstil der Entstehungszeit. Im hohen und höchsten Bereich ist Cargills Stimme weniger resonant, doch reizvoll verhangen. Im kurzen Im Zimmer (von Schlaf, einst berühmter Expressionist) pausieren die Streicher. Das lebhaftere Sommertage (Hohenberg) gemahnt wegen seines Elan vital und des Beckenschlags auf dem finalen Höhepunkt an Strauss. Das Deutsche Symphonie-Orchester fächert den so klugen wie sinnlichen Klang auf. Ein sehr großes Vergnügen.

Bruckner 6. Sinfonie

Bruckners Sinfonie Nr. 6 hörte ich kürzlich mit den Berliner Philharmonikern unter Mariss Jansons. Der Lette Jansons bot eine Wiedergabe, die vor trocknem Feuer knisterte und Pathos durch Genauigkeit ersetzte. Der Brite Robin Ticciati dirigiert nun mit dem DSO eine sehr rasche, wunderbar flüssige, im Ganzen exzellente Bruckner-Sechste. Es ist eine sonnige, leichtfüßige Interpretation, im ersten Satz geschmeidig im Übergang der Formteile. Die Sololzeile der Flöte beschleunigt beim Übergang von erstem Teil zur Durchführung plötzlich und beinah unmerklich wie einst bei Karajan.

Ungewohnt ist der Eindruck der Fausse Reprise, deren thematische Blechtriolen wie bei einer Blaskapelle klingen, bei der Rossini auf den Pulten liegt. Auch den eigentlichen Reprisenmoment spielen die Musiker klanglich ungewöhnlich leicht aus. Einige Brucknerfans mögen verächtlich mit der Schulter zucken. Doch schon die unmittelbar folgende Fortspinnung des Themas gerät wieder packend.

Wunderbar leichtflüssig auch die ganz in geschmeidiger Prozessualität aufgehende Coda. Nur beim Molto ritardando der letzten drei Takte ist zu hören, dass das Verständnis zwischen neuem Chef und Orchester noch nicht blind ist.

Auch der zweite Satz lehrt, dass Bruckner fliegen kann. Gelöst wie selten gerät das zweite Thema, weich gebunden der Fluss des Trauermarschthemas, hinreißend die kurze Durchführung. Das Finale ist dann auf ähnlich entzückendem Niveau und insgesamt von weichster Biegsamkeit. Leichte Kritik kommt wieder an den für mich etwas auseinanderfallenden allerletzten Takten. Aber vielleicht muss man Ticciatis Weg ein paar Mal mitgehen. Es gibt immer Dinge, die einem erst beim dritten Mal gefallen.

Nach Stanisław Skrowaczewskis Tod und Marek Janowskis Weggang (beide beim RSB) fehlen in Berlin zwei gewichtige Brucknerinterpreten. Womöglich ist mit Robin Ticciati gleichgewichtiger Ersatz zur Stelle.


Weitere Konzertbesprechung des DSO-Konzerts mit Ticciati und Cargill:

Atemraubend talan“ (Hundert11 – Konzertgänger in Berlin)
Nachtigallen“ (S. Mahlke – Tagesspiegel)