Es ist die letzte La Bohème der weihnachtlich-winterlichen Aufführungsserie an der Staatsoper Berlin und vielleicht nicht die schlechteste, was sowohl an Elena Stikhina als schwindsüchtiger Mimì als auch an Vincenzo Costanzo als Dichter Rodolfo liegen dürfte.

La Bohème Staatsoper Berlin
Elena Stikhina in den Armen Rodolfos: Mimì fliegt vom Sterbesessel / Foto: Monika Rittershaus

Was Elena Stikhina vokal auf die Beine stellt, überrascht. Sie singt die als einen einzigen großen Bogen komponierte Arie Sì, mi chiamano Mimì ohne Fehl und Tadel, mit porentief leuchtender Stimme und klasse Piano. Frau Stikhinas Vollhöhe ist dabei zum Bäume Ausreißen (Il primo sole è mio, il primo bacio dell’aprile è mio), da ist viel genuiner Ausdruck dabei.

Bei so viel Qualität schaden die paar Wermutstropfen kaum. Elena Stikhinas Gesangslinie ist nicht makellos und Artikulation und Diktion kommen etwas verwaschen daher. Man kennt das Phänomen von den russischen Turbosopranen Netrebko und Tatjana Serjan. Und in Sachen Spontaneität und Bühnentemperament hatte Angela Gheorghiu im Dezember die heißeren Eisen im Feuer. Dafür führt die veritable Verdi-Glut, die ihre Stimme entfacht (ja, das hört man selbst bei Puccini), direkt ins Herz der Musik. Man wagt nicht zu viel, wenn man Frau Stikhina eine schöne Karriere voraussagt.

An ihrer Seite agiert Vincenzo Costanzo als attraktiver, eher lyrisch gehaltener Rodolfo. Costanzos Tenor ist nicht groß, doch er klingt natürlich, jugendlich und schöntimbriert. Sein Rodolfo ist der klassische Anti-Pavarotti: immer etwas schüchtern. Dafür singt er mit Instinkt und geizt nicht mit Charme und Farben. Nur um das Gelingen von spe-e-eraaaa-aanza – mit dem kurz angetippten C und dem höllisch langen B – muss Costanzo kämpfen.

Puccinis tempo- und tränenreiche Schwindsuchttragödie ist nicht nur wegen der herzzerreißenden Melodien ein Operndauerbrenner. Auch das an treffgenauen Menschenporträts nicht arme Libretto trägt sein Scherflein zum Erfolg bei.

Womit wir bei der lebenslustigen Musetta wären, deren Kokotten-Arie Quando m’en vo‘ Narine Yeghiyan mit viel Ambition und Gelingen singt. Alfredo Daza macht das Quartier Latin als Maler Marcello im Schlabberhemd und mit der Powerpräsenz seiner Baritonstimme unsicher. Adam Kutny (Komponist Schaunard) ist ebenso stilsicher am Werk wie Bassist Jan Martiník als mürrischer Philosoph Colline (mit grandiosem Topfhaarschnitt im vierten Bild). Den Spielzeugverkäufer Parpignol nimmt Andrés Moreno García unter seine Fittiche, und Altmeister Olaf Bär ist sowohl der Vermieter auf Freiersfüßen im ersten Bild (Benoît) als auch Sugardaddy Alcindoro im zweiten.

In den buntturbulenten Quartier-Latin-Szenen, die Puccini so lockerflockig hinpinselte wie einen Renoir, singen Kinder- und regulärer Chor der Staatsoper. Der glatzköpfige Dirigent Julien Salemkour leitet Puccinis Oper mit Verve und Gusto, doch im Ganzen etwas unsensibel.