Das Ultraschall-Ufo landet für fünf kurze Tage in Berlin. Die Landepunkte befinden sich über ganz Berlin verteilt. Am Samstag konzentriert sich die Aktivität des Neue-Musik-Festivals Ultraschall Berlin vollständig im Radialsystem V. Es gibt zwei Nachmittagskonzerte, sodann zwei Abendkonzerte.

Konzert I bestreitet das Ensemble Nikel, vier junge Männern, die sich Saxofon, Klavier, Schlagzeug und E-Gitarre widmen.

Der in jeder Hinsicht aufschlussreiche Tag beginnt mit Fleisch (vollendet 2017) von ENNO POPPE, dem aktuellen Wunderwuzzi der Neuen Musik in Deutschland. Poppe transformiert in Fleisch das disparate Gestenrepertoire von Rock- und Jazzcombos in eine geschmeidig-flexible Kontinuität. Dass Poppe Werktitel gerne mit einer galvanischen Bedeutungsschwere auflädt, die an Beuys erinnert, rettet das irritierend bodenständige und wenig geheimnisvolle Werk indes kaum. 

Es folgt the square of yellow light that is your window (2014) der Irin ANN CLEARE. Es beginnt mit raffiniert rhythmisierten Klangpermutationen, doch auf Dauer wirkt the square… seltsam statuarisch. Der Quietsch-und Knarz-Sound lässt an eine Mischung aus Sonntagmorgenkater und Hinterzimmersession denken, auch wenn lustige und anrührende Reflexe freundliche Momente beisteuern. Ann Cleare gibt hier Einblicke in die Partitur.

Caleb Salgado Ultraschall Berlin Lachenmann Ferneyhough Billone
Bassist Caleb Salgado und Komponist Pierluigi Billone

Fragments of Profound Boredom (2012) des Israelis YAIR KLARTAG stellt ruhige, wellenförmige Verläufe neben pochende Beschleunigungs- und Verlangsamungsprozesse. Stellen größerer Dichte starten von einsamen Auslösepunkten, um nach sanften, saxofondurchwirkten Höhepunkten wieder an den Ausgang zurückzukehren. Die Fragmente wirken klanglandschaftlich souverän geordnet. Wie sich beim Applaus zeigt, ist Klartag ein muskulöser Mann mit hoher Stirn und großer Brille.

Zwischendurch herrscht Verwirrung. Frage: Wer war das? Antwort: ein Schwede. Zweite Antwort: nee, der kommt noch. Nach (!) dem Konzert erklärt Co-Festival Leiter Rainer Pöllmann, dass die Abfolge der Stücke komplett geändert wurde, und ohne allzu zerknirscht zu wirken. Eine Katastrophe für Leute wie mich, der ich zwar sämtliche Varianten von Bruckners Dritter identifiziere, aber bei der Unterscheidung von Klartag, Cleare und Barden unweigerlich auf Probleme treffe.

So kommt das Beste zum Schluss. Witness (2012) von MARK BARDEN, dem US-Amerikaner und Wahlberliner. Mark Barden ist schon mit so haarig-widerständigen Kammermusikstücken wie Nocturne hervorgetreten. In Witness beugen sich anfangs drei Musiker hochkonzentriert in das Flügelinnere hinab. Das Stück entpuppt sich als gestisch reich und vielschichtig. Zwischendurch ist Witness in nebelhaften Bezirken unterwegs. Dann leiten zwielichtige Pianissimi in Regionen zarten Knisterns. Zum Schluss hört man Crescendo-Keile, bis Witness der Stille entgegengleitet. Viel Applaus.


Caleb Salgado

Fast schon respektvoll retrospektiv wirkt das Konzert II, in dem Bassist Caleb Salgado auftaucht. Salgado erhielt unter anderem Unterricht von Matthew McDonald, seines Zeichens Solobassist der nicht ganz unbekannten Berliner Philharmoniker.

Caleb Salgado Ultraschall Berlin 2018
Kontrabassist Caleb Salgado

Salgado beginnt mit trittico per g.s. (1989) von FERNEYHOUGH, dessen fiebriger Gestenreichtum fasziniert, doch nicht mitreißt. Denn dann zelebriert Salgado das großartige, im Original für Cello geschrieben Pression (1969-70/2013) von LACHENMANN in der Fassung für Kontrabass. Wie oft bei Lachenmann hat man den Gedanken, niemand habe so nah am Urknall komponiert wie dieser Komponist. „Der reine, ’schöne volle‘ Celloton ist darin also nur ein Sonderfall unter verschiedenen Möglichkeiten des Bogendrucks, der Bogenhaltung, der Bogenführung an einer bestimmten Strichstelle“, so Lachenmann 1972. Immer wieder gleitet das Pression ins Unhörbare ab und entsteht im selben Augenblick neu. So schlackenlos und konzentriert klingen nur Klassiker.

Zuletzt kidnappt UTU AN-KI LU (1995/2016) die Zuhörer, um sie in der Post-Lachenmann-Epoche abzuladen. Das Werk stammt vom Lachenmann-Schüler PIERLUIGI BILLONE. Ausgehend von dem von Lachenmann Erreichten, interessiert sich Billone wieder für Linien und Melodiefragmente, ohne Lachenmanns Erkenntnisse für ungültig zu erklären. Einblicke in die Partitur gibt es hier.