War da nicht was?
Die Oper Katja Kabanowa nach Alexander Ostrowskis Drama Gewitter, komponiert vom 65-jährigen Leoš Janáček, ist ein Fanal gegen provinzielle Hartherzigkeit.
Auch und besonders an der Staatsoper Berlin.
Dafür sorgt schon die Regie in Person von Andrea Breth, die um die „Katja“ eine schiefergraue Tristesse baut, die kaum zu toppen ist. Plätschernder Dauerregen, Echtwasserrinnsale und postsozialistischer Matratzenmüll schaffen beklemmend detailreiche Trostlosigkeit. Willkommen im symbolisch verdichteten Bühnen-Realismus. Nur wenn die Kabanicha es sich und Dikoj besorgt, wird’s bissig drastisch.

Wie das zu dem feinverwobenen Motiv-Staccato passt, das sich kleinteilig und eindringlich, aber auch in Ausdrucks-Aufschwüngen gipfelnd durch dieses Präzisions-Uhrwerk von einer Partitur zieht?
Es funktioniert soso.
In der Traumerzählung (1. Akt), der Liebesszene am Fluss (2. Akt) oder bei Katjas Schlussmonolog (3. Akt), wenn die Musik nichts als ein loderndes Inferno von Ausdrucksgesten ist, dann mutet die Lesart Breths doch abstrakt unterkühlt an, von dunkler Wucht zwar, doch insgesamt etwas unfruchtbar statisch.
Eva-Maria Westbroek ist Katja, und Westbroeks Katja ist renitent vor Sehnsucht und hoffnungslos vor Ausweglosigkeit. Mehr Seelennotlage geht nicht. Von Andrea Breth in mausgrauer Strickjacke in Szene gesetzt, erobert sich Westbroek weiten Ausdruckssraum mit ihrer schwer leuchtenden Sopranstimme. Die strahlt üppig und massiv, beeindruckt als emotionale Dampfwalze, die noch jeden Orchesterteppich plattwalzt.
Der Boris von Simon O’Neill ist ein sensibler und zugleich seltsam abwesender Liebhaber Katjas, so als käme er direkt aus dem Kirschgarten nebenan. Gesungen wird das allerdings von O’Neill mit imposant schneidigem Tenor.

Mit der Person der Kabanicha schuf Janáček eine Überfigur, eine repressiv-herrschsüchtige Schwiegermutter, einen Tyrannosaurus Rex an Bösartigkeit, die (oder den) Rosalind Plowright mit Schärfe und Pfeffer in der Stimme singt. Der Tichon, ein fieser Mix aus Muttersöhnchen und Frauenschläger, findet in Stephan Rügamer (sehr präsent, auch darstellerisch) seinen Tenor-Meister, die junge, freiheitsliebende Varvara singt mit schön leuchtendem Mezzosopran Anna Lapkovskaja. Florian Hoffmann verkörpert den burschikosen Kudrjasch mit biegsamem Tenor, Pavlo Hunka die grunzende Schnapsleiche Dikoj, Arttu Kataja den wissenschaftsinteressierten Kuligin, während Fekluscha (Adriane Queiroz) und Glascha (Emma Sarkisyan) in pechschwarzer Bauernburka über die Bühne huschen.
Am Pult, im Graben, vor der Staatskapelle Berlin steht, nein, schuftet Simon Rattle. Er leitet der Janáček’schen Partitur Hitze und Energie zu, gewinnt den rätselhaft-obstinaten Motivrepetitionen und Motivkreisläufen eine klaustrophobische Enge ab, bündelt deren Lakonie zu gestischer, quasi-sprachlicher Energie, grad als drückte Komponist Janáček der tschechischen Sprache das Stethoskop ganz fest auf den Brustkorb. Hart und grell stechen die aus solcherlei Stauhitze sich entladenden Fanfaren hervor. Wow: Akzente haben schneidende Schärfe. Doch Rattle wäre nicht Rattle, hätte er nicht das Ohr für die hymnischen, breit gezogenen Ausbrüche, die die wundersame, faszinierende Oper Katja Kabanowa wie vitale Hauptschlagadern durchfurchen.
Die Reaktion des Publikums war im Ganzen ausgesprochen euphorisch.
Weitere Kritik von Katja Kabanowa mit Eva-Maria Westbroek und Simon Rattle:
„Beeisschränkt: Leoš Janáčeks Katja Kabanowa an der Staatsoper“ (hundert11 – Konzertgänger in Berlin)
„die junge, freiheitsliebende Varvara singt mit schön leuchtendem Sopran Anna Lapkovskaja“. Varvara ist keine Sopranrolle im eigentlichen Sinne und Lapkovskaja ist keine Sopranistin.
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Ja, danke
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Wieder gesundheitsgefährdende Zeit, zu der Sie schreiben, aber trefflicher Bericht.
Der Wissenschaftsfreund ist aber Kurdjasch-Hofmann, Kuligin ist abergläubisch wie die anderen (auch und gerade Katja!)
Ich schreib heute Mittag, werde natürlich wieder alles bei Ihnen abschreiben.
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Kurdjasch ist der Elektrifizitäts (verdammt!)-Freund? Hmm.
Abschreiben? Aber gerne. Würde ich an Ihrer Stelle aber nicht machen, denn Sie sind ja der Berliner Janáček-Experte.
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Janáček-Experte des Herzens, nicht des Wissens. Ich fürchte, die anderen drei Katja-Termine schaffe ich nicht (Zoroastre Komische Oper, DSO Ticciati, SO Gespenstersonate). Schade, schade.
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Na, DSO Ticciati ist ein wunderschönes Programm.
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Ich mochte Eva Maria Westbroek sehr sehr gerne. Sehr beeindruckend und sehr beeindruckende Inszenierung. Etwas kurz sehr intensiv
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Die Inszenierung von Breth hat mich auch beim dritten Mal anschauen überzeugt.
Ich fand in der Saison der Premiere Pavel Cernoch als Kudrjasch attraktiver.
Simon O Neill ist eindrucksvoll aber der Kudrjasch sollte doch lyrischer klingen als es von O Neill zu hören war. Pavel Cernoch war damals eine Wonne.
SR war noch besser als damals oder? Rattle lässt die Staatskap. singen.
Rügamer echt gut. Und alle hängen sich rein.
Unglücklicherweise weit entfernt von ausverkauft mal wieder.
War begeistert
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Ich war gestern zum zweiten Mal da und fand, stärker noch als beim ersten Mal, Rattle durchgehend zu laut. Und Westbroek, so beeindruckend sie ja ist, erscheint mir in ihrer blühenden dramatischen Kraft und Wonne doch fehlbesetzt.
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Ich war froh, dass ich noch ein zweites Mal drin war. Man sieht dann doch klarer. Schade nur, dass NUN die DOB nächste Saison die Jenufa nicht im Programm hat.
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