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Der Tannhäuser an der Deutschen Oper Berlin.

Kirsten Harms‘ Inszenierung hat sich im neunten Jahr ihres Bestehens eine gewisse solide Patina erarbeitet.

Hier Kritik vom Tannhäuser der Wagner-Woche 2019 mit Gould und Bell lesen.

Bei Harms muss der Opernbesucher zwei Dinge beachten. In der Männerwelt ist tutto Blech, oben im Himmel und hienieden, und das sowohl vor der Männer- als auch vor der Pferdebrust. Das war erstens. Und zweitens gibt es eine Überraschung. Sie betrifft Elisabeth – und Venus. Beide werden heuer nicht nur von ein und derselben Sängerin gesungen (Camilla Nylund). Sie sind – darauf deutet im dritten Akt das eine oder andere hin – dieselbe Dame, sowohl körperlich als auch geistig. Punkt. Jedenfalls in gewisser Weise. Aber wenn man das als Zuschauer nicht glaubt – ist auch nicht weiter schlimm.

Camilla Nylund singt also Venus und Elisabeth. Nylund klingt als blondbezopfte Venusberglerin einen Ticken aufregender denn als keusches Wartburg-Mädl. Madame Nylund hat die Stimme, und sie hat die Bühnenpräsenz. In der letzten Szene der Oper, als Venus ihr jammerernstes „Weh! Mir verloren!“ ausstößt und der Zuhörer dies zugleich als Schrei der Elisabeth deuten muss, schließt sich zumindest ein Bogen dieses 2008 premierten Harms-Tannhäusers bravourös.

Tannhäuser Deutsche Oper Berlin 2016
Schöne neue Tannhäuser-Welt: Der Himmel hängt voll Rüstungen, auf der Bühne stauen sich die Bettlägrigen

Denn der hat gewiss einige Baustellen. Da dauerbaumeln die Blechrüstungen wie die Würste im Märchen vom Himmel. Und, sapperlot, ist die mittelalterliche Helm- und Kostümparade im zweiten Akt szenische Augenzwinkerei oder inszenatorischer Bierernst? Man kann sich auch fragen, warum der Pilgerchor im dritten Akt mit Mann und Maus im Krankenhaus liegt. Macht Buße labil? Oder Pilgern dement? Am Ende ist immer der Papst schuld.

Als Tannhäuser springt Robert Dean Smith für Peter Seiffert ein. Smith, der bekanntlich kein Bud Spencer vom Heiligen Tenororden ist, singt einen lyrisch angelegten Tannhäuser, differenziert, helltenörig, mit alleweil sicheren, aber eben nicht granitenen Spitzentönen. Die „Erbarm dich mein“-Rufe am Ende des zweiten Aktes hätte Seiffert mit mehr Bohrhammer in der Kehle gesungen. Erstaunlich für einen US-Tenor, wie sauber bei Smith die Aussprache und wie idiomatisch die Phrasierung sind. Wie er spielt, rampennah und herzenztümelnd, das beflügelt die Herzen der Ü-50-Damen im Parkett.

Tannhäuser Kirsten Harms Berlin 2016
So herrlich bunt ist Thüringen: Die teure Halle ist voll belegt

Der Wolfram wird von James Rutherford gesungen, der in seinem Oversize-Outfit immer etwas von einem melancholischen Bären hat, der dichtend durch die thüringischen Wälder streicht. Für das enttäuschende „Lied an den Abendstern“ hat Rutherford einfach nicht den lyrischen Bariton, wohl aber das Drama für die darauffolgende Auseinandersetzung mit dem erfolglosen Pilger Tannhäuser. Wolframs „Weh, böser Zauber tut sich auf“ passte nie besser als heute Abend, als die mausetote Elisabeth unversehens sich regt und rührt (wie Kundry, von Klingsor erweckt), um zu ihrem Alter ego Venus zu werden.

Der schnittige Landgraf Ante Jerkunica orgelt den gesamten landgräflich-thüringischen Hofstaat mit energischem Bass nieder. Daneben agiert der durchsetzungsstarke Halbglatzkopf Attilio Glaser als Walther mit schönem Legato, und Noel Bouley singt den Biterolf. Heinrich der Schreiber ist bei Benjamin Popson in guten Händen, Reinmar von Zweter bei Alexei Botnarciuc. Als Hirt versüßt Adriana Ferfezka dem Zuhörer die zwei langen G’s, jeweils auf „Mai“, in „der Mai, der Mai war kommen“.

Scotsman Donald Runnicles dirigiert das Orchester der DOB. Der erotische Schwung kommt eckig und laut rüber, aber Schotten sind so. Ansonsten hat dieser Tannhäuser klangliches Gewicht und geprüfte Meisterklasse, Kraft und Biomasse. Das Blech erwischt alles in allem einen ausgezeichneten Abend. Von besonders guter Qualität sind die Schwermutsgesten von Streichern, Holz- und Blechbläsern, die Wagner allenthalben dem so glanzvollen wie pompösen Biedermeier des Sängerfestaktes entgegensetzt, besonders im dritten Akt.


Kritiken zur Premiere 2008 von Kirsten Harms‘ Tannhäuser an der Deutschen Oper Berlin:

Wer jetzt keine Rüstung hat“ (tagesspiegel.de)
Venus liebt die Bügelfalte“ (faz.net)