Die Staatsoper startet mit Prokofjews Lustspiel-Rarität Die Verlobung im Kloster ins nagelneue Jahrzehnt. Handlung und Personal (Entstehung 1940, Uraufführung 1946) schlachten genüsslich die Stereotypen der komischen Oper aus. Ein starrsinniger Vater will seine Tochter zu einer Verbindung mit einem reichen Fischhändler zwingen (dem nicht mit Minderwertigkeitskomplexen geschlagenen Mendoza), doch die patente Tochter ergattert mittels turbulenten Verwechslungen ihren mittellosen, aber wohlgestalteten Geliebten. Die besondere Volte besteht darin, dass die Amme (wunderbar matronenreif: Violeta Urmana) sich zu guter Letzt den ausgebooteten Fischhändler angelt.

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Wenn Regisseur Tscherniakow Nägel mit Köpfen macht und die Oper zu einer Endlos-Therapiesitzung für Leute umkrempelt, die zu viel in die Oper gehen, dann ist der Effekt verblüffend. Aus einer Heirats-Buffa aus Sevilla wird im Handumdrehen eine Selbstfindungs-Saga, in der jeder genau die Rolle spielt, die er im Leben innehat. Dass manche Feinheit der Handlung untergeht, ist angesichts der sorgfältigen Zeichnung der handelnden Personen sogar zu verschmerzen. Das kluge Bühnenbild macht sich unsichtbar – hinten neutrale Wände, vorne Reste einer Opernbestuhlung.

Ja. Das dichte Ensemble erfreut durchweg durch Genauigkeit des Singens und Spielens und deklamatorische Finesse.

Es gibt zwei junge Liebespaare, ähnlich wie in Così fan tutte. Das heftig techtelmechtelnde Sopran- und Tenorpaar bilden die temperamentvolle Luisa Nina Minasyan (leuchtkräftig und höhensicher), die die Goldkehle Aida Garifullina der Premiere würdig ersetzt, und der leisetreterische Antonio (Bogdan Wolkow, schmalhelle Tenorstimme von lyrischer Kantabilität mitsamt feinen Dynamisierungen). Das Mezzo- und Baritonpaar wird gebildet aus dem köstlich schüchternen Ferdinand (Andrey Zhilikhovsky, ganz erstaunliche Baritonstimme, die Solonummern gehen unter die Haut) und der exzentrischen Clara (Anna Gorjatschowa, kräftigschlanker Mezzo). Keinen dieser Sänger kenne ich, jeder und jede singt außerordentlich.

Der Duenna gibt die tiefenrelaxte Violeta Urmana vokales Profil (widerborstiger, unternehmungslustiger Mezzo). Sie ist das heimliche Zentrum der Aufführung. Während der Mendoza von Goran Jurić (urkomische Eloquenz eines Singdarstellers) vor komödiantischer Verve fast platzt, hat Vater Don Jerome Stephan Rügamer alles im Griff (ungeheuer präsentes, angespanntes Singen). Sauber der Trompetenauftritt. Der zurückhaltende Carlos (Lauri Vasar, kernig) hat etwas weniger zu singen und Moderator Maxim Paster ist selten, aber dann tenorhell zu hören.

Fast alle Sänger stammen aus Osteuropa. Flüssigkeit und Natürlichkeit von Artikulation und Deklamation sind bewundernswert – nur das Russisch des famosen Rügamer klingt nach Bundeswehrkeks. Dazu moussiert, schäumt, schmeichelt die Musik vier abwechlsungsreiche Akte lang. Sie bietet alles, wofür Prokofjew steht: hinreißend spontanen Witz, flirrende Geigen- und Vokallinien, grotesk perlenden Rhythmus, und das alles garniert mit frischen Tempowechseln. Und bleibt dabei wunderbar durchsichtig.

Der Staatsopernchor hat kurze Auftritte, die allesamt dem Lob von Mendozas Fischen dienen, und kenntnis- und detailreich leitet Dirigent Alexander Vitlin durch die Partitur. Die Farben sind weniger intensiv als bei der Premierenserie unter Barenboim, dafür wirkt Prokofjews Oper unter dem Russen Vitlin rationaler und klarer.

Einige kleinere Eingriffe Tscherniakows gehen in Ordnung. So singen die männlichen Solisten unter Führung von Goran Jurić auch die zechenden Mönche des achten Bildes. Ein Libretto auf Deutsch gibt es derzeit weder als Büchlein noch online – wenn man nicht gleich eine CD-Box kaufen will, etwa die der Aufnahme aus Glyndebourne mit Wladimir Jurowski. Ein Online-Libretto auf Russisch findet, wer nach либретто Обручение в монастыре sucht.

Es bleibt zu hoffen, dass die Verlobung regelmäßig wiederaufgenommen werden wird. Das Repertoire an hervorragenden, nicht-ernsten Opern jenseits von Mozart, Rossini, der ein oder anderen Belcanto-Perle sowie Falstaff ist bekanntlich nicht unerschöpflich. Und vielleicht taucht auch Prokofjews Der Spieler von 2008, eine frühe Arbeit Tscherniakows, endlich einmal wieder auf der Bühne der Staatsoper auf.

Besuchte Vorstellung: 2. 1. 2020


Weitere Kritik: Ein ungetrübter Spaß (Hundert11)