Die erste Premiere der Saison in der Staatsoper Berlin.
Fidelio (bzw. „Leonore“, wie Beethovens einzige Oper zuerst hieß) war Anno 1805 ein Schlag ins Wasser. Aber auch noch heute ist Fidelio Dauerbaustelle. Drei Fassungen, vier Ouvertüren gibt’s. Gespielt wird zumeist Fassung drei mit den Ouvertüren vier und drei (aber John Eliott Gardiner versuchte sich vor einiger Zeit etwa an einem Mix aus Fassung eins und zwo). Ja, die Dialoge sind hanebüchen, die Dramaturgie ist hölzern, die Solonummern sind alles andere als ein Ausbund an melodischem Schmelz – Beethoven als Opernbruchpilot?
Was sagt Regisseur Harry Kupfer im Schillertheater dazu? In etwa das, was er bei seinem Fidelio an der Komischen Oper 1997 sagte. Dort inszenierte Kupfer Fidelio als Opernprobe. Auch im Schillertheater sieht es ganz stark nach Opernprobe aus. Irgendeiner trägt immer Noten in den Händen. In der Finalapotheose donnern die Solisten ihren Freiheitsjubel in Alltagskleidung von der Rampe, die Chöre postieren sich donnerfroh dahinter. Die verdutzten Zuschauer blicken auf den Wiener Großen Musikvereinssaal, der die Bühne als Mega-Size-Poster nach hinten abschließt. Frei nach Kupfer: Freiheit gibt’s nur im Konzertsaal. Das ist nicht wenig. Aber auch nicht alles. Fast könnte man darauf kommen, Kupfer falle nichts ein.
Der neue Berliner Fidelio spielt vor einer massigen Wand mit riesigen Knast-Kritzeleien. Bühne (Hans Schavernoch) und Kostüme (Yan Tax) sind auf gediegene Art gelungen. Kupfer ist zugutezuhalten, dass er die Knastoper Fidelio nicht als hochglobalisierte Snowden-Story kredenzt hat.
Zu den Sängern.
Camilla Nylund singt eine anrührende Leonore, die in ihrer E-Dur-Arie („Komm, Hoffnung“) ihre beherzte und subtile Gesangkunst einsetzt und ohne aufgeblasene Heroinen-Wucht auskommt. Marzelline Evelin Novak überzeugt mit sinnlichem Klang und einem Ausdruck, der mehr als frisches Soubretten-Temperament bietet. Florian Hoffmann singt den armen Tropf Jaquino mit jungmannenhaftem Eifer. Papa Rocco alias Matti Salminen ist ein vokal souveräner Kerkermeister. Als Bass-Oldie mit Legendenstatus legt sich Salminen sowohl körperlich als auch stimmlich mächtig ins Zeug. Sein Bass „sitzt“, der gesangliche Ausdruck passt.

Camilla Nylund zeigt, wo der Hammer hängt / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de
Als Deus ex machina ist Roman Trekel ein messerscharf artikulierender Don Fernando. Wie Ferrando gehört der Don Pizarro von Falk Struckmann zur Kaste der Anzugträger. Daneben brilliert Struckmann als machtvoll gesungener Bösewicht. Interessant: Struckmann – dräuend deklamierend – war schon im alten 1995er-Fidelio der Staatsoper Pizarro zu hören. Florestan Andreas Schager sammelt Punkte als kettenrasselnder Staatsgefangener. Mit heroisch festem Tenor ist Schager der unumstrittene Leidens-Star des Abends.
Daniel Barenboim leitet die Staatskapelle Berlin. Das klingt heuer kernig, ja harsch, tragisch rau, doch die Musiker folgen Barenboim mit großer Beredtheit. Lebhafte Tempi sorgen für Beethoven’schen Flow, Barenboim riskiert Wackler. Dezidierte Artikulation, scharfplastische Bläser, aus dem Nichts aufsteigende Pianissimi sorgen für fortwährende Hochspannung aus dem (tiefgelegten) Graben. Fremd und unheimlich klingt Barenboims Beethoven, aber er ist ein Ereignis, klamm lauscht man, wie im Schillertheater eine durch und durch bekannte Partitur neu entsteht. Barenboim weitet – hier ist er sehr langsam – die zweite Leonorenouvertüre (auf die oft gespielte Nr. 3 im 2. Akt verzichtet Barenboim) zu hoher Sprachfähigkeit, zu leiser Wucht. Auch dies ein Ereignis.
Der Verzicht auf Übertitel mag angesichts einer nur teilweise gegebenen Textverständlichkeit der Sänger bedauert werden.
Bravi von Kupfer-Fans, ansonsten anständiger Applaus eines Publikums, das keinesfalls aus dem Häuschen war.
Fazit: ein sperriger Opernabend. Aber, was zum Teufel, soll man mit Fidelio sonst machen?

Evelin Novak geht Florian Hoffman an die Wäsche / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de
Weitere Premierenkritiken von Kupfers Fidelio:
„Freiheit schleppt sich aus dem Gestapo-Keller“ (welt.de)
„Wie Don Pizarro im grauen Anzug das Böse verkörpert“ (berliner-Zeitung.de)
„FIDELIO an der Staatsoper im Schiller Theater“ (derfreitag.de)