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Tugan Sokhiev gelingt es selten, ein Konzertprogramm zu dirigieren, dass nicht in der einen oder anderen Weise russisch inspiriert wäre. Auch heute nicht. Macht ja auch nichts. Doch immerhin hält der erste Konzertteil zwei Raritäten-Häppchen bereit, die zu unverzüglicher Einverleibung einladen.
Da ist erstens Francks Le Chausseur maudit, der zu denjenigen symphonischen Dichtungen zählt, die sich durch einen noblen tragischen Tonfall auszeichnen. Das Stück ist frisch, nicht zu lang und präsentiert eine überschaubare Anzahl von Themen. Die Hauptperson der symphonischen Dichtung ist ein Jäger, der unklugerweise das sonntägliche Jagdverbot missachtet. Passenderweise wird das Stück leitmotivisch von reizvollen Hornfanfaren durchzogen. Trotz des lebhaft bewegten Vollklangs ist die Faktur des Jagdstücks erfreulich transparent. Sokhiev leitet glühend fokussiert.
Da ist zweitens Rachmaninows schillernde Paganini-Rhapsodie, die aus sage und schreibe 24 Variationen besteht, wobei Rachmaninow so viel Witz hat, Leben und Lieben des Geigenteufels Paganini von einem Pianisten nacherzählen zu lassen. Also: kein Konzert, sondern Konzertvariationen, deren blühende a-Moll-Thematik ihre Entsprechung im Alfresco-Charme des locker gefügten Meisterwerks findet. Nikolai Luganski ist der Rachmaninow-Spieler, der die kurzweilige Rhapsodie über ein Thema von Paganini beängstigend zuverlässig, klanglich ausgefeilt sowie glänzend virtuos spielt. Dabei ist Luganskis Temperament kaum vulkanisch-prometheisch zu nennen. Sein Temperament zielt aufs Vornehme, Brillante. Luganski ist kein kühner Forscher, mehr höchstkultivierter Schilderer. Beeindruckend die sinnlich farbenspielerische Weiträumigkeit seines Spiels. Der Anschlag will bei aller Souveränität akkordischer Schlagkraft die weiche Kontur, das intime Helldunkel.
Schön, dass Dirigent Sokhiev die Mitte zwischen Charme und Autorität hält. Sokhiev, weniger Anfeuerer denn präziser Straffer, sorgt für Klarheit, wo Luganski transparentem Kolorismus huldigt. Ich füge an, dass mir in letzterem stets ein Gran zu viel an Gepflegtheit mitschwingt. Eine Brise schnöder Schärfe im Klavierton hätten Horizont und Aktionsraum der Rachmaninow-Rhapsodie in durchaus statthafter Weise geweitet.
Post-päuslich arrondiert Rimsky-Korsakows Scheherazade das Programm zum Allseits-Bekannten hin. Das Berlinische Philharmonische Orchester liefert die symphonische Suite als artistisches Virtuosenstück mit Herz und Seele. Und die gewieften Orchestersolisten lockern das Orchesterkolorit mit raffinierten Einsätzen auf.
An den ersten Pulten der Streicher Andreas Buschatz, Kotowa Machida (1. Geigen), Christian Stadelmann, Christophe Horak (2. Geigen), Naoko Shimizu, Ulrich Knörzer (Bratschen), Olaf Maninger, Christoph Igelbrink (Celli) und Janne Saksala (Bässe). Celli sitzen mittig, Bratschen und Bässe (bzw. ihre Spieler und Spielerinnen) rechts.
Sokhiev leitet die Berliner Philharmoniker vor der Pause mit Stab, nach der Pause ohne.
Solche Schinken lassen Sie sich natürlich nicht entgehen.
Lugansky finde ich ganz hervorragend. Solo war er in Berlin bisher m.W. nur beim Klavierfestival im Kleinen Saal des Konzerthauses zu hören. Rachmaninow hat ja als Pianist, den erhaltenen Aufnahmen nach, auch einen eher leichten, hellen Ton gehabt. Aber Schärfe durchaus.
Fun fact: Variationen über dieses Paganini-Thema gibt es nicht nur bereits bei Brahms und Liszt (auch die natürlich schon für Klavier), sondern auch bei Szymanowski, Lutoslawski und Andrew Lloyd Webber.
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