Ohne Bayreuth wären Sommer keine Sommer.
Castorfs Sozialismus-Siegfried geht ins vierte Jahr. Heil euch, ihr Nibelungen-Camper.
Wagner-Liebhaber, ihr werdet Castorfs Proll-Epos, diese durchgedrehte Nibelungen-Revue, einst bitter vermissen.
BR Klassik.
Bayreuth-Novize Marek Janowski dirigiert. Nach einem hörenswerten Rheingold und einer durchwachsenen 2016er Walküre hat Janowskis Siegfried wieder Hand und Fuß. Janowski schafft einen straffen Nibelungen-Sound, der klingt wie frisch vom Fass – und dabei auch noch denkbar uneitel wirkt.
Ein Ding für sich ist die hohe Reliefenergie, die Janowski mit dem Festspielorchester für Wagners Unter- und Obermenschendrama aufbaut. Ich weiß vor lauter Big Points gar nicht, wo anfangen. Streicherlinien dürfen in einer Art karger Breite strömen – sehr gut. Zu Siegfrieds „Aus dem Wald fort in die Welt zieh’n“ stürmt das Orchester knackig dahin. Die Leitmotive erklingen vom Festspielorchester herrlich freigestellt, ohne dass der Musikstrom um seine Kontinuität gebracht wäre. Das Siegfriedmotiv gibt Janowski in harschem Realismus und ohne jede neudeutsche Parfümierung – ein Labsal. Das Vertragsmotiv – klar wie extrascharfer Senf. Knochentrocken die orchestralen Steigerungen im typisch Janowski’schen Prassel-Stil. Janowskis Tempo gehen die Sänger bravourös mit. Kann Janowski diese Leistung in Götterdämmerung noch einmal abrufen?
Die Sänger des 2016er-Siegfried. Es gab gewiss schon bessere Jahrgänge.
Goldketten-Siegfried Stefan Vinke vokalisiert den Protz-Proleten rau und kantig. Vinkes Lust am vokalen Agieren ist hörbar. Ich höre indes keine Sangeskunst für die Ewigkeit. Unter rein gesanglichen Gesichtspunkten ist das steif gesungene Schmiedelied eher unersprießlich – Ausnahme ist das mit schwungvoller Kurve genommene „Blase, Balg! Blase die Glut!“ Sonderbar, Vinke macht den Eindruck, als hätte ihm noch mehr Tempo aus dem Graben gut getan – ein Zeichen für fehlende Stetigkeit in Vinkes Leistung. Janowski agiert beim Schmiedelied übrigens mit wunderbar humorloser Grandeur. Im dritten Akt ist Vinkes Singen von der unsensiblen, unlyrischen Art.
Andreas Conrad singt Castorfs Brecht-Alter-ego Mime. Conrad singt zu Beginn wie mit deklamatorischen Scheuklappen. Doch das ändert sich und Conrad ist mit einem Mix aus sängerischer Genauigkeit und deklamatorischen Details einer der Stützen des Sängerensembles.
Für den Wanderer des John Lundgren gilt das Gleiche wie das bereits zur Walküre Gesagte. Lundgrens siffiger Kiez-Mafioso ist ein hörenswerter Lichtalbe. Lundgrens Vortrag hat Energie, Klang und Zug. Sein Wotan auf Wanderschaft klingt so jung wie wohl von Castorf erdacht.

Doch Lundgren versucht sich an einer Art kantabler Autorität, die ihm (noch) nicht zur Verfügung steht. So ist vieles eher ein Versprechen für die Zukunft als ein Genuss für die Gegenwart. Das gilt für John Lundgrens heftige Wortakzente, nicht weniger aber für die weitgespannten, kräftezehrenden Bögen in hoher Lage. Lundgren will einen vollkommenen Wotan geben. Er sollte uns zuerst seinen eigenen geben.
Albert Dohmen verpasst dem Bösewicht Alberich scharfes vokales Profil. Fafner Karl-Heinz Lehner bestätigt seine formidable Leistung aus Rheingold. Als der Spaghetti futternde Wotan die rotweinsüffelnde Erda Nadine Weissmann befragt, merke ich, dass ich zwar selten temperamentvollere, doch schon öfters vokal souveränere Erdas gehört habe. Waldvögelchen Ana Durlovski flattert mit nervösem Sopränchen umher.
So, und dann kommt Brünnhilde Catherine Foster. Sie liefert, wie zu erwarten war, blankgescheuerte Spitzentöne am Fließband. Doch Fosters „Heil dir, Sonne!“ klingt unidiomatisch. Bei „Heil dir, Licht!“ dauert das Vibrato eine halbe Ewigkeit. Ihr „O Heil der Mutter, die dich gebar!“ ist germanisches Geheul der fragwürdigen Art. Im Verein mit Vinkes Tenorturbo übertönt Fosters Sopran-Flammenwerfer im Siegfriedfinale jede Regung von subtilem Lyrismus. Bei „Du Wecker des Lebens, siegendes Licht!“ kann kein aufmerksamer Zuhörer mehr sagen, bei welchem Vokal man sich gerade befindet. Oft genug vermag ich gar nicht zu bestimmen, ob es Tonhöhe, gutturale Vokalfärbung oder eine allzu naive Verdeutlichung des Textes sind, was hier einfach nicht stimmt. Catherine Fosters „Ewig war ich, ewig bin ich“ verbreitet für mich so viel Mystik wie ein Gartenschlauch. Genug, ich weiß, es gibt Leute, die Catherine Fosters Brünnhilde sehr schätzen.
Einziges Manko Janowskis: Die orchestrale Überleitung zur letzten Szene des dritten Aktes klingt mir zu vordergründig.
Fazit: Janowski liefert seinen besten Nibelungen-Abend bislang. Die Sänger sind doch hörbar unter dem Besten, was man derzeit in Berlin, Wien und New York hören kann.
Die Kanonade aus herzhaften Buhs und Bravos beim Applaus im Festspielhaus befindet sich in bester Bayreuther Tradition.
Weitere Kritiken zum Bayreuther Siegfried 2016:
Christa Sigg: „Marek Janowski dirigiert Siegfried und die Götterdämmerung“ (abendzeitung-muenchen.de)
Das sehe ich ebenso. Janowski gelingt mit Siegfried eine außerordentliche Leistung. Ich habe das Gefühl, dass die Musiker und der Dirigent vollkommen auf einer Linie sind. Mit der Castorf Inszenierung muss man nun einmal leben.
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Vinke lieferte im Großen und Ganzen eine saubere Leistung ab, ebenso Catherine Foster. Die Rolle des Siegfried ist eben nicht gleichzusetzten mit der des Lohengrin oder des Parsifal, bei denen man psychologische Details erwarten darf. Das Schmiedelied ist eben ein „Lied“ und keine Gralserzählung. Und wo ist die Brünnhilde, die in allen Disziplinen das Maximum liefert? Das schafften weder Birgit Nielsson noch Flagstad, was gerne vergessen wird. Janowski kam in Götterdämmerung noch besser mit Orchester und Festspielhaus zurecht, aber ja, Siegfried war gleichfalls ein Fest.
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Catherine Foster großartig, die Regie ein Affentheater, das allem Hohn spricht, was Wagner wollte.
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Ich verstehe die herbe Kritik an Castorf nicht. Lebt man in Bayreuth noch in den 60ern? Will man zurück zu den ach so seligen Karajan-Zeiten, als der Maestro selbst inszenierte? Wie erfrischend, wenn ein Regisseur seiner Fantasie freien Lauf lässt und das Potenzial des Rings freilegt!
Zu Janowski kann ich nur sagen, dass das hohe Tempo im ersten Akt Spaß macht (langsame Siegfrieds sind eine Pein), gegen Ende des dritten Aktes aber zu viel ist. Die oft erwähnten Wackler habe ich nicht gehört.
Gute Regie gute Musik gute Sänger.
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