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Genau genommen sind bei „Staatsoper für alle“ immer nur zwei Fragen offen: Meinen es die Wettergötter gut? Und: Violine oder Klavier?
Das Wer? (Barenboim plus Staatskapelle), das Wo? (Bebelplatz) und das Wann? (kurz vor knapp vorm Saisonende) stehen immer schon fest.
Also: Heute meinen es die Götter gut und ja, wir hören ein Violinkonzert.
Die Zuschauer und -hörer von „Staatsoper für alle“ sind ja zuallererst Fans der Staatskapelle Berlin, oder Fans von Barenboim, oder Fans von Beethoven, oder andersherum. Auf jeden Fall waren die Fans von Sibelius vor dem Konzert sehr wahrscheinlich in der Minderheit. Das dürfte sich nach dem Konzert geändert haben.
Daran ist Lisa Batiashvili nicht ganz unschuld. Wobei es nicht ganz leicht war, die Wirkung, die Sibelius‘ Violinkonzert hatte, von der Wirkung des tadellosen Äußeren von Frau Batiashvili zu trennen. Denn Lisa Batiashvili erscheint als wandelnde Symphonie in Rot, und zwar von den Trägern ihres Kleides, nein, was sehe ich, vom Lippenstift bis zum unteren Saum ihres Kleides.
Lisa Batiashvili spielt das Sibelius-Violinkonzert mit viel Temperament, ohne sich die Finger daran zu verbrennen. Da sei ihre üppige Technik vor, ohne die die heftigen Vibratogewitter nicht möglich wären. Das klingt feurig, aber schön fokussiert. Dabei kann die Geigerin so kühl wirken.
Für Sibelius findet die Batiashvili eine betörend dunkle Kantabilität: In den lyrischen Partien tunkt sie ihren Geigenbogen in einen Eimer voller Farben, in den ambitiösen Partien feuert sie wild mit virtuosen Pfeilen um sich. Dazu prunkt ihr Geigenton unten herum mit betörend bartionalem Timbre, in der Höhe gefällt der strahlende Ton, hier gerne auch mit einem Stich ins Hochherzig-Sentimentale. Auf- und ohrenfällig auch ihre großzügige, großherzige Phrasierung.
Kann es ein schattigeres, kehligeres, sehnenderes Geigentimbre geben als das von Batiashvili im Adagio? Auch wenn Solistin und Orchester hier kurzzeitig immer wieder unterschiedlicher Ansichten sind, was das Tempo betrifft. Und die Staatskapelle steuert für Sibelius einen herben Seelenton bei. Daniel Barenboim befiehlt mittels ausgestrecktem Jupiterarm die Fortissimos des Blechs.
Beethoven, 3. Sinfonie.
Großer Klang, große Gefühle – Daniel Barenboim spielt die „Dritte“ fern vom modischen Beethovendogma, das da lautet: transparent soll er sein, der Ludwig, volle Nullfettstufe und klapperdürr. Barenboim ist für etwas Speck auf den Rippen, sprich Klang auf der Saite. Und die Staatskapelle Berlin und Barenboim wuppen die Eroica ziel- und instinktsicher bis zum letzten Final-Höhepunkt. Die Höhepunkte können je nach Wetterlage, die in der Partitur gerade herrscht, extrem tumultuös sein – eine gesunde Prise Theaterdonner ist bei Barenboims Beethoven immer dabei. Die Bässe sind extrem pushy. In all dem Getümmel tut die die versonnene Hornmelodie beim Eintritt der Reprise gut. Was Wunder, dass der zweite Satz, der Trauermarsch, ganz großes Emotionskino ist. Der „Marcia funebre“ ist dann in der Tat ein Wunder an Konzentration, Tiefe und Klangreichtum.