Katharina Kammerloher Lena Haselmann Luci mie traditrici Sciarrino Staatsoper Berlin

Katharina Kammerloher und Lena Haselmann / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de

Luci mie traditrici, so heißt die jüngste Premiere des guten Sciarrino-Zyklus, den die Staatsoper Berlin nun schon über mehrere Berliner Sommer spannt. Salvatore Sciarrino, das ist ein ziemlich nährstoffreicher Nebenarm des großen Stroms der musiktheaterlichen Avantgarde.

Der Sciarrino-Plot ist von konzentrierter Kürze. Schauplatz Neapel, Anno 1590. Ein Ehepaar, ein trotteliger Diener, ein Knall auf Fall verliebter Gast, der Ehemann außer Haus, ein Bett, ein Blutbad: Die Handlung exponiert in zwei Mal acht Szenen saftige Spätrenaissance at its best. Sex and Crime, wohin das Ohr nur hört, und alles überdies nach einer wahren, grausamschauerlichen Geschichte. Gut 65 Minuten, dann ist’s auch schon vorbei. Die 31° Außentemperatur führt nur zu gelegentlichem Fächerschwenken, und aus von der Hitze malträtierten Brustkörben reifer Damen entringen sich nur vereinzelt Seufzer.

Staatsopern-Hausgott Jürgen Flimm inszeniert Luci mie traditrici. Wie schon beim Flimm-Figaro, so gewahrt man auch im Flimm-Sciarrino einen Hang zum „Pläsierlichen“ (Benn über Fontane). Herrje, hier hülfe der messerscharfe Radarblick Mussbachs. Denn in der mahagonimöblierten guten Stube, die Annette Murschetz (Bühnenbild) etwas lauherzig vor unsere Augen zaubert, will einfach keine Spannung aufkommen. Das liegt weniger an den bücherübersäten Parkettrauten noch an den putzigen Papp-Castelli, die in der Raumecke ein ungeklärtes Dasein fristen, als vielmehr an der stoffeligen Personenregie, die nicht dicht genug dran ist an Sciarrinos tückisch rätselhaftem Personal. Sie fesselt nicht (die Regie).

Katharina Kammerloher Luci mie traditrici Sciarrino Staatsoper Berlin

Luci mie traditrici: Katharina Kammerloher liest Il Tempo / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de

La Malaspina Katharina Kammerloher (die Ehefrau) räkelt sich zwar im Cosima-Wagner-Kleid auf dem bestreiften Fauteuil. Und Otto Katzameier (der Ehemann) erleidet als Duca Il Malaspina dubiose Ohnmachtsanfälle und schnallt sich lugubre Flügelschwingen um, um flugs zum Todesengel zu mutieren. Doch irgend wie bleibt das durchschaubar. Stichwort Stückwerk. Das ändert sich auch nicht, als die Reitgerte schwingende Lena Haselmann (der Gast, Achtung, Hosenrolle!) eintrifft. Nicht viel besser trifft es Christian Oldenburg als Servo (vulgo Diener), dem die Regie zu possierlichem szenischem Klamauk verdonnert.

Dabei ist die Musik Sciarrinos ein Phänomen. Präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, poetisch wie Blätterrascheln und thrilling wie Hitchcock, ist Luci mie traditrici musiktheatralischer Minimalismus vom Feinsten. Sciarrinos Partitur sucht mit dem Mikroskop nach den Gesten hinter den Sprachgesten. Die abgründigen Wortpirouetten, die das Personal unablässig dreht, wirken, als hätte Sciarrino (der auch für das Libretto verantwortlich zeichnete) die Verse des Dichters Cicognini zu rhetorischem Rinderhack zerbröselt. Das entfaltet spukhaften, eigenen Reiz.

Da passt es, dass die Handvoll Staatskapellenmusiker unter David Robert Coleman bravurös aufspielen. Sängersolistisch gibt es Licht und Schatten. Otto Katzameier ist als roher Duca-Rüpel mit nervös-virilem Bassbariton präsent, die zuerst erotisch entflammte, dann reuig submissive Duchessa Katharina Kammerloher gefällt mit herbem Mezzolodern. Christian Oldenburg macht seine Sache gut. Lena Haselmann indes finde ich vokal subpräsent. Aus musikalischer Sicht glänzt der hörenswerte Abend also mit vielen Aktiva. Eines bleibt zu bemäkeln: Die hohe Schule des idiomatisch sicheren Singdeklamierens auf Italienisch ist das heute Abend wirklich nicht.