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Magnus Lindberg.
Der Finne hat Preise abgeräumt. Die großen Orchester spielen ihn. In New York und London war er composer-in-residence. Magnus Lindberg ist ein Blondschopf in den besten Jahren, der dezentes Intellektuellenschwarz trägt. Er hört in Block A links aufmerksam Dvořák zu.
Doch im Mittelpunkt des Konzertes mit den Berliner Philharmonikern steht Lindbergs Violinkonzert Nr. 2. Es ist die Deutschlandpremiere.
Die Uraufführung fand im Dezember 2015 in London statt (London Philharmonic, Jaap van Zweden).
Lindberg fordert nicht den ganz großen Apparat, nur doppeltes Holz, drei Klarinetten.
Das Violinkonzert ist eine Enttäuschung.
Gewiss, das Stück ist gut ausgeleuchtet, der Beginn fesselt, Textur und Sounddesign verraten Lindbergs Handschrift und Meisterschaft. Solist Frank Peter Zimmermann (stark, sachlich, sehr genau) verschwindet unversehens in opalisierenden Klangzonen wie in Gletscherspalten, um wenig später mit konventionellem solistischem Gestus und strahlendem Ton aus eben diesen wieder hervorzukraxeln. Doch der Klang des Konzerts wirkt nur zu Beginn unverbraucht. Melos, Gestik und Ideen werden umso verbrauchter, je länger das Konzert dauert. Doch damit nicht genug. Die Klangregie wird gegen Schluss ornamental, die Dramaturgie durchsichtig. Dass Lindberg nicht auf die von klassizierenden Figurationen belebte Kadenz verzichten will, passt ins Bild.
Ich erinnere mich wehmütig an jene sowohl konzentrierte wie überbordende Frische, die Lindbergs „Kraft“ auszeichnet – Alan Gilbert stellte das Stück vor zwei Jahren mit den Philharmonikern vor. Wo ist der Exzess, wo der plastische Überschwang von Lindbergs Frühwerk (1985), das, wenn auch kein Stück für die Ewigkeit, doch genug Ideen und Klang für 40 Minuten hatte?
Emmanuel Pahud (Flöte) und acht Philharmonikerkollegen nehmen sich Boulez‘ Mémoriale (… explosante-fixe … Originel) an. Die musikalische Qualität des Stücks entspricht der der Solisten. Die schattenhaften Bewegungen der Streicher- und Bläsersolisten fassen Pahuds klaren Ton präzise ein. Hervorragend.
Schumanns Sinfonie Nr. 2 brachte Simon Rattle 2014 und besonders 2013 insgesamt zwingender in der Bewältigung der experimentellen Struktur der Zweiten (Finale!). Doch es ist faszinierend, wie Daniel Harding Schumanns Sonatensatzpathos (die Beethoven’sche Durchführung, der Beethoven’sche Schluss, beides 1. Satz) durch Leidenschaftlichkeit der Details unterläuft. Das Adagio wiegt doch zu leicht. Das Scherzo gelingt schlank und frei.
Antonín Dvořáks selten gespielter Othello (1892) ist mehr Tondichtung als Ouvertüre. Das Werk spart vom ersten ppp-Lento der sordinierten Streicher an nicht an tragischen Themen und schönen Melodien. Der einzige Schönheitsfehler dieser Komposition ist, dass der uneingeweihte Zuhörer nie weiß, wann genau Desdemona erdrosselt wird. Es muss sich um eine jener insgesamt vier Stellen handeln, an denen die Geigen sich zu einem theatralischen, dreifachen Forte aufschwingen.
Schumanns Sinfonie Nr. 2 liegt irgendwie im Trend. Das Verweben des thematischen Materials ist extrem interessant und dass das Finale auf halber Strecke ein komplett neues Thema bringt ist einer der faszinierendsten Züge.
Ich muss immer lachen, wenn ich die Beurteilung der 2. Sinfonie im Reclam Orchesterführer lese:
„Die Gestaltungskraft steht in keinem Verhältnis zum Wollen. Die Rhythmik entbehrt des Schwungs. Leere Wiederholungen ermüden. Die Themen sind wertmäßig ungleich und stammen zum Teil aus zweiter Hand.“
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@komplett neues Thema
Ich fühle mich immer lebhaft an Bruckner 5, Finale, erinnert. Auch was Schumann aus dem Thema des Adagio macht, das er quasi direkt von Bach nach Bruckner (der intensive Anfangsgestus) beamt, ist aller Ehren wert. Dann die ganzen Bach- und Beethoven-Referenzen, und doch ist es jeden Takt Schumann.
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Interessant: „gone are the intricate conglomerations of sonic profusion and the captivating mysticism that often emerges from them as well as the theatrical character that can so completely engage the listener. In their place this recent work abounds in neo-romantic affectations, derivative gestures, empty rhetorical phrases and bombastic effusions, vapid lyricism, aimless rapid figuration suffused with conventional scales, pointless arpeggios“
http://seenandheard-international.com/2015/12/magnus-lindbergs-new-violin-concerto-at-the-centre-of-a-puzzlingly-assembled-programme/
Rattle hat vor einigen Jahren Seht die Sonne von Lindberg gemacht.
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Ich erinnere mich. „Seht die Sonne“ mit Rattle, gekoppelt mit Mahler 9. Laut, aber effektiv.
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Von Lindberg hat mich ehrlich gesagt auch KRAFT nicht umgehauen, zumal Gilbert immer eine ernüchternde Wirkung auf mich hat. Harding übrigens auch, auch wenn ich ihm vielleicht Unrecht tue. Bin deshalb trotz Einladung zu den Philharmonikern lieber zum Ultraschallfestival ins Radialsystem gegangen.
Aber schön, dass Zimmermann wieder eine Geige hat!
Schumanns Zweite hat mir, auch wenn ich mich das kaum zu schreiben traue, nur ein einziges Mal so richtig gefallen, und zwar vom Orchester der Komischen Oper (sic) unter Roger Norrington. Da hatte ich das Gefühl, plötzlich zu verstehen, was Schumann eigentlich gewollt hätte, wenn er gekonnt hätte. Ansonsten geht es mit dem Stück fast immer so wie in dem lustigen Reclam-Zitat in dem anderen Kommentar, leere Wiederholungen ermüden…
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Doch, Kraft finde ich gut und Gilbert mittlerweile ebenfalls.
Gilbert hat in Berlin meist Programme dirigiert, auf die man nicht immer richtig Lust hat, ich zumindest nicht (Haydnvariationen, Mendelssohn-Bartholdy, Holzgeschnitzter Prinz, Dvorak Cellokonzert). Aber auch so schöne Sachen wie Berg Orchesterstücke etc. Dafür geht bei Norrington bei mir der Laden runter.
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Kraft kam mir so gewollt vor, dazu Gilbert in diesem albernen T-Shirt, aber vielleicht war ich nur schlecht drauf.
Beim Holzgeschnitzten Prinzen war ich zufällig, das war für mich einer der quälendsten Philharmoniebesuche überhaupt, und meine Frau war stinksauer auf mich. Aber damit will ich nicht sagen, dass Gilbert es inadäquat dirigiert hätte.
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…und was Norrington angeht, da haben wir wohl tatsächlich sehr unterschiedliche Geschmäcker. Zu dem geh ich immer.
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Es ist immer wieder erstaunlich, was Dvorak alles komponiert hat. Und wie schön! Boulez hat mir gar nichts gesagt, obwohl Emanuel Pahud trefflich Flöte gespielt hat. Von Lindbergs Violinkonzert habe ich gar nichts verstanden, auch mein Mann nicht. Für mich war das kein Konzert.
Bei Schumann ist man als Hörer in der Zwickmühle, da der schöne, aufpolierte Klang vergangener Tage nicht mehr in die Zeit passt und der nervöse hetkische Stil den viele Dirigenten heute lieben nicht immer ins Schwarze trifft.
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http://www.theguardian.com/music/2015/dec/10/lpo-lindberg-zimmerman-van-zweden-review
The piece could be read as a kind of collision between, say, Telemann and Brahms.
Gut gesagt
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Daniel Harding war bei Schumann so locker und feurig, so positiv und energisch wie ich Schumann selten hörte. Bravo
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Lindberg… monströser Klimbim
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