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Silvesterkonzert 2015, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle.

Das Programm ist à la française.

Rattle wäre nicht Rattle, wenn er nicht echte Knaller mit echten Raritäten mixen würde, frei nach dem Motto Ozzy Osbornes: „Man weiß nicht, was kommt.“

Rarität I: Zuerst kommt Emmanuel Chabriers L’Étoile-Ouvertüre, die Erinnerungen an die entzückende Produktion an der Staatsoper mit Simon Rattle am Pult weckt.

Dann Camille Saint-Saëns‘ Introduction et Rondo capriccioso. Anne-Sophie Mutter absolviert das Stück mit der ihr eigenen Souveränität, einer Art hochherrscherlichen Künstlerselbstherrlichkeit. Die kalte Leidenschaft Mutters trifft auf die heiße Leidenschaft Rattles (really faszinierend – das gab’s schon mal beim Dvořák-Violinkonzert).

Da ist es, das Pendeln zwischen heftigen Akzenten – hat das nicht etwas von metaphysischem Kruppstahl? – und eiskalt ausgespieltem geigerischem Temperament. Dieses Pendeln ist Anne-Sophie Mutters Markenzeichen – neben dem haute-coutürigen, schulterfreien Kleid. Es ist ein selbstherrlich-verschlossenes Künstlertum um Anne-Sophie Mutter. Da ist etwas wie verbissene Tüftelei. Wie klösterliche Hyper-Konzentration. Das alles fordert Kühnheit vom Hörer. Und macht Mutter so unvergleichlich. Sehr gut.

Rarität II: Massenets anmutig verstaubte Suite Le Cid.

Dann Ravels Geigenschnickschnack-reiche Tzigane, von Anne-Sophie Mutter ernst wie Bach dargeboten.

Rarität III: Francis Poulenc Les Biches sind federleichte Magerkost von abgefeimter Diskretheit. Die Philharmoniker spielen die Ballettsuite mit transparentem Klangbild. Im lebendigen Klang dürfte die Interpretation unübertroffen sein.

Dieser Ravel-Valse ist ein Werk Rattles. Das Orchester liefert porentief präzisen und schimmernd bewegten Tuttiklang. Der vertrackt ausschwingende Kontur hat Ekstase, die tollkühne Silhouette der Schlusstakte hat Mahler’sche Tiefe.

Als Zugabe hört man „supergute Rutschmusik“ (Rattle), Brahms‘ ersten Ungarischen Tanz.

Auf RBB gehört. Die Moderation von Andreas Knaesche ist der durch Annette Gerlach auf Arte vorzuziehen.