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Zyklus! Alle neun! Rattle ist zyklophil. Dennoch verfolgt dieser Beethovenzyklus mehrere Ziele. Der hauptsächliche Zweck dürfte sein, die Berliner zu erfreuen, klar. Zum zweiten geht es aber um das, was von Rattle beethovenmäßig bleiben wird. Eine Ahnung von Vermächtnis zieht durch die Philharmonie. Bei aller Zyklophilie, so viele Rattle-Zyklen wird es nicht mehr geben.

Also Beethovenzyklus, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle.

Es gibt viele Gründe wider Rattles Beethoven.

  1. Rattle ist zu schnell.
  2. Rattle hat nicht Furtwänglers Gefühl.
  3. Rattle hat nicht Karajans Klang.
  4. Thielemann mit den Wienern war schöner.

Stimmt alles (oder fast).

Ist aber alles egal. Es gibt einen Grund für Rattle.

Unter Rattle spielen die Berliner Philharmoniker einen glühenderen Beethoven, den man kaum sonst so hört.

Beethoven Sinfonie Nr. 7

Erste Beobachtungen: Das einleitende Poco Sostenuto nimmt Rattle einen Tick schneller als vor drei Jahren. Der erste Satz, Vivace, beginnt indes langsamer als damals. Die Exposition des Vivace wird wiederholt (Das machten die Wiener Philharmoniker unter Prêtre nämlich nicht).

Erste Details: Die Tutti-Schläge sind nicht einfach Rumtatas, die eine thematische Entwicklung abschließen, sondern mit äußerster Energie angefüllte gestische Aktionen. Die wuchtigen Streicher-Bläser-Wechsel, die im ersten Satz zur Durchführung überleiten, werden vom Orchester geradezu brutal hingesetzt. Doch Rattle bleibt genau: Das Pianissimo des Nachsatzes des Themas im Allegretto (2. Satz) wird als äußerste Rückstufung gegenüber dem vorangehenden Piano des Vordersatzes erlebbar. Das dreifache Forte der Final-Coda ist nochmal eine sprechende Steigerung gegenüber dem vorangehenden Fortissimo (Das direkt folgende zweite fff dann aber nicht mehr).

Und das große Ganze? Rattles letzte Siebte (2012) merkte man die Nähe zu Harnoncourt an. Sie war kurzatmiger. Heuer kann ein Detail für das Ganze stehen. Eine weiche Pulsation der Streicher kommuniziert mit der entgrenzenden Totale des Orchesters. In den Ecksätzen höre ich aus brodelnden Partikeln aufgebauten Klang. Im Finale schweißt Rattle diesen (mit furchterregenden Gesichtsgesten geforderten) Klang wie mit einem Riesenstaubsauger zu einer Klangwalze zusammen. Der Zuhörer taumelt in einem Schlauch, der durch das Weltall fliegt.

Das ist kühner, aufregender Beethoven. Diese Siebte ist ein glühender Block heißen Atems. Es ließen sich weitere Beobachtungen anführen. So die heftigen motivischen Überlagerungen in Durchführung und Coda im Finale, so die Piano-Fahlheit ebenda.

Bei allem ist verblüffend, wie das Orchester mitträgt und „mitkann“. Paukist Wieland Welzel darf sich auf die Schulter klopfen.

Letzte Anmerkung zur Siebten: Es fällt auf, dass das Tempo im Finale nicht exorbitant ist. Abbado war viel schneller. Muti und Karajan waren – dem Gefühl nach – ein bissl schneller. Doch bei Rattle ist das Drama exorbitant. Rattle ist näher dran an Furtwängler.

Beethoven Sinfonie Nr. 4

Auch die Vierte scheint rascher genommen als schon von Rattle gehört. Das ist fast Abbado-artig geschwind. Selten klang der schöne, zweitaktige Legato-Gedanke der Streicher direkt vor dem Schluss-Crescendo der Einleitung so nervös, ja zerfahren. Das Adagio ist äußerst geschwind – dennoch darf sich das zweite Thema (Klarinette) dehnen. Im Finale ist die Straffheit so angezogen, dass die Tektonik zu knirschen beginnt. Jeder Ton ist Materialstrapaze. In diesem Tempo sind die 25 Sechzehntel der berüchtigten Fagottstelle der Reprise purer Fagott-Horror. Stefan Schweigert meisterte sie bravourös, doch man hielt den Atem an. In der Coda tauchen die Sechzehntel nochmals auf. Diesmal darf der Klarinettist ran (Wenzel Fuchs).

Fazit:

Die messerscharfen Philharmoniker servieren ausgekochten Beethoven. Simon Rattle nutzt die Gelegenheit, die sich mit dem Beethovenzyklus, wahrscheinlich seinem letzten als Boss, mit Schwung und Sicherheit. Die Siebte erscheint an diesem Donnerstagabend monothematisch und monolithisch. Auf jeden Fall wird heute Abend die 200 Jahre alte Kulturtechnik des Beethovensinfoniekonzerts neu belebt.

Die Kontrabässe stehen übrigens links hinter den ersten Geigen (vier bei der Vierten, sechs bei der Siebten). Zweite Geigen rechts. In der Mitte links Celli und rechts Bratschen. So auch schon bei der Beethoven-Vierten 2010. Und so auch Harnoncourt bei seiner Fünften 2011.