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Berliner Philharmoniker Seji Ozawa Anne-Sophie Mutter Beethoven Violinkonzert Tschaikowsky Sinfonie Nr. 6
Konzertbericht Anne-Sophie Mutter. Ein Gedenkkonzert zum Hundertsten von Karajan ist per se etwas Morbides. Man fragte sich, wer am 23. Januar 2008 wegen Karajan in die Philharmonie gekommen war und wer wegen Ozawa und Mutter. Wenn erstere in der Minderheit waren, so spricht das für die Neugier der Berliner und nicht gegen ihren Hang zur Nostalgie. Ich habe Karajan nie live gehört. Aber vielleicht werde ich dereinst auch mit wackeligen Knien in das Rattle-Gedenkkonzert gehen. Es war eines der Konzerte, die hinken. Beethoven ge-, Tschaikowsky misslang großartig. Anne-Sophie Mutter spielte Beethovens Violinkonzert. Man hatte die absurd eigensinnige (sprich: geniale) Interpretation der Violinsonaten Mozarts vom November 2006 noch von ferne im Ohr. Heuer gab es eine vollkommen absurde (sprich: vollkommene) Wiedergabe des Beethovenkonzerts zu hören. Man hörte in der riesigen Philharmonie das genaue Profil jedes Tones, den ihre Stradivari ausgab. Mittleres bis leicht langsames Tempo. Man kann sich kein konzentrierteres Violinspiel vorstellen. Die Spanne zwischen Laut und Leise ist groß, enorm scheint sie erst durch die ständig wechselnde Behandlung des Tons (voll – leer, vibratolos – viel Vibrato, stehend – fließend).
Hört man Mutter, erscheint es verwunderlich, warum die Leute die Türen, hinter denen ihre Konzerte stattfinden, einrennen. Die ihr Spiel tragende monumentale Selbstherrlichkeit wirkt wie die kalte Schulter einer unnahbar Schönen. Jede Phrase ist ein kleiner, grausamer Schlieffenplan. Dass Beethovens Melodie keine Melodie, auch kaum ein Melos ist, sondern eine kubistische Analytik der Linien, erfährt man allenthalben. Vibratolose Haltetöne klangen deutlich vereinsamt, Aufwärtsskalen waren an diesem unerwartet ernsten, anstrengenden, mühevollen Abend stolze, abweisende, herrische, auf das Genaueste durchdachte Folgen von Tönen. Anne-Sophie Mutter ist die schwierigste, abweisendste, souveränste, unglaublichste Geigerin der Gegenwart, neben der Gidon Kremer naiv (Kremer sticht Mutter in anderen Disziplinen aus) und die Geigerinnen der jüngeren Generation in letzter Konsequenz belanglos wirken. Die Kadenz im ersten Satz hätte von Beethoven wie von Wolfgang Rihm sein können und war ein Musterbeispiel selbstherrlicher, absolut gemeinter Violinkunst. Mutter hören, heißt den Peitschenschlag der Logik hören, Mutters heimtückische, objektive Subjektivität. Wie nach den Violinsonaten war der Applaus massiv, aber nicht stürmisch. Es klang Ratlosigkeit des Publikums mit. Anne-Sophie Mutters Wille zur Form war so unglaublich intensiv, dass Ozawa Statist blieb. Mag sein, dass er das so wollte.
Man hört selten, dass die Berliner Philharmoniker an die Wand gespielt werden. Anne-Sophie Mutter spielte sie an die Wand. Seiji Ozawa dirigierte den übersichtlichsten Beethoven, und es hörte sich an, als spielten die Philharmoniker aus Langeweile genau das, was Ozawa wollte. Ein Thema klang gleich immer so vorbildlich thematisch, ohne ins Unter-, Über- oder Unhematische verlängert zu werden. Mutters Ton, ihre Rasanz, ihre napoleonhafte, gedankliche Schärfe schwebte stets in eigenen Sphären über Seiji Ozawas Dirigat. Nach der Pause also Tschaikowskys Sechste. Ozawa dirigiert, und es ist langweilig, wie es letztes Jahr Thielemanns Darbietung von Bruckners Achter (mit den Wiener Philharmonikern) war. Die Berliner Philharmoniker spielen so, dass kein Ohr, und sei es noch so lahm, auch nur eine Note überhört. Melodie, Motive, Crescendi folgen einander wie die frommen Schäfchen, die über die ewiggrünen Wiesen des Paradieses ziehen. Die Präzision der Schlagkraft im vierten Satz war gänzlich verblüffend, aber selbst hier litten Glanz und Härte der Orchesterschläge unter der Starrheit, mit der sie aufeinander folgten, und dem eigentümlichen Fehlen von Schwere und Mitgerissenwerden. Ozawa war der am wenigsten rätselhafte Dirigent der Saison.
Kritik Anne-Sophie Mutter Berlin