„Obacht! Das Auge der Venus blickt auf dich.“ So sieht’s jedenfalls Sasha Waltz in der Berliner Tannhäuser-Premiere // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

HIER die Kritik des Tannhäusers 2017 lesen!

Sasha Waltz erneuert ihre langjährige Partnerschaft mit der Staatsoper Berlin und inszeniert im Rahmen der Festtage 2014 Wagners Tannhäuser.

Ich sage es gleich: Tannhäuser ist was anderes als Dido & Aeneas oder Medea. Eine Tenorlegende wie Peter Seiffert lässt sich nicht rückstandlos in eine fußhuschende Choreographie integrieren, und sei diese auch noch so ausgeklügelt, wie von Sasha Waltz gewohnt. Schöne Bilder zweifelsohne: Marina Prudenskaya als Venus von Milo im Greek-Style, Ann Petersens Elisabeth als einsame Ball-Lady, das herbstliche Kupfer für den 3. Akt (Bühnenbild Pia Maier Schriever mit Sasha Waltz).

Für meinen Geschmack hat Sasha Waltz das ganze Venusberg-Gedöns viel zu ernst genommen – typisches Quereinsteiger-Verhalten. Sasha Waltz‘ Inszenierung trifft nicht in Wagners Herz, dazu fehlt ihr so etwas wie wilde Leidenschaft. Aber sie integriert Seiffert, Prudenskaja, Mattei, Pape und Frau Petersen in eine sehr sehenswerte Wagner-Revue, die ihre Meriten im Bildlichen, weniger im Dramatisch-Erzählerischen hat.

Zu den Sängern. Stellenweise ist das heute Abend allererste Sahne.

Peter Seiffert ist Tannhäuser // Foto: Bernd  Uhlig / staatsoper-berlin.de
Peter Seiffert (Tannhäuser) hat Schwierigkeiten, sich von Sasha Waltz‘ Tänzern loszueisen // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Tannhäuser ist Peter Seiffert. Mmhh. In der Venusszene hört man sofort, wenn Wagner eine Passage sentimental („Doch sterblich, ach“) oder entschlossen („herrlichem Genießen“) haben wollte. Aber das ist halt Seiffert. Das ist halt Wagner, seufzt der abgebrühte Fan. Sobald Peter Seifferts Fuß allerdings thüringische Erde berührt, ist sein Tannhäuser ein energischer Mann Typ Einzelgänger wider Willen, der das Herz am rechten Fleck hat. Seiffert phrasiert mit glühendem Nachdruck. Seine Ausrufe – „Allmächtiger“, „Ein Wunder war’s“, „Weh! Weh mir…“ – haben Verve. Sein Tannhäuser ist die dominierende Figur des Abends.

Da rennt sie! Marina Prudenskaya (Venus) flieht Daphne-gleich in astreinem Greek-Style // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de
Marina Prudenskaya (Venus) flieht Daphne-gleich in astreinem Greek-Style // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Die Venus von Marina Prudenskaya besitzt ein üppiges, klangvolles Organ, das sich um Wagners Vokale schlingt wie eine hungrige Kobra. Marina Prudenskaya bändigt ihren Sopran mit spürbarer, aber erfolgreicher Mühe zu einem Piano, das nicht immer textverständlich, aber immer leidenschaftlich ist, was aber absolut OK für eine Venus ist. Die Einwürfe der Souffleuse für  Frau Prudenskaya sind im ganzen Theater zu hören.

Marina Prudenskaya im Auge der Venus // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de
„Was muss ich hören?“ Marina Prudenskaya im Auge der Venus // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Angesichts ihrer brachialen Attacken auf den Geliebten versteht der Zuhörer sofort, warum beider Liaison ein einziges Debakel ist und keine Chance auf eine stabile Langzeitbeziehung hat. Verführerisch ist Prudenskayas Sopran auch in der Tiefe, wo er die abgedunkelte Farbe einer Altstimme annehmen kann („tief in der Erde wärmenden Schoß“).

René Pape gibt dem Landgrafen seine samtpfotige Alfresco-Meisterschaft. Ein Verngnügen ist der unversehens abgesoftete Bassglanz, der Nachdenkliches im Text unterstreicht. Bei seinem Wotan hörte ich hier und da eine Art Bedeutungshuberei. Das ist ganz weg. Schön ist das samtene „Gegrüßt sei uns“, das ungewöhnlich jung klingt. „So bleibe denn unausgesprochen“ ist kraftstrotzend, dabei zugleich leise und stark, wunderbar voluminös und sinnvoll im Phrasierungsdetail. Ich habe seinen König Philipp noch ein bisserl singulärer im Ohr, aber das ist heute Abend ebenso höchste Leistung.

Ann Petersen ist Elisabeth // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de
Schöne Damen, schöne Kleider. Ann Petersen ist Elisabeth // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Ann Petersen singt eine Elisabeth mit guter, aber alles andere als außergewöhnlicher Stimme. Petersens Sopran klingt angestrengt, ist von neutraler Farbigkeit und blasser Höhe. Es ist Singen ohne Imagination, wohl auch ohne Wärme. Es ist ein keuscher Ausdruck da, ja („Ich fleh‘ für ihn“). In „Gepriesen sei die Stunde“ bleibt sie den Aufschwung schuldig.

Wolfram ist Peter Mattei. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Mattei sich nicht richtig anstrengt, grad weil er so eine prächtige Stimme hat. Was für eine Pracht ist das in Slowmotion-Wohllaut gesungene „Blick‘ ich umher“. Einiges ist mehr Kehlen- als dramatische Kunst. Die Phrasierung hat nicht immer Maximalkontakt zum Wort, aber Schwamm drüber. Der Mann kann singen.        

Peter Sonn singt einen energischen, sorgfältigen Walther. Einen Biterolf zwischen Bass-Belcanto und Biedermeierentrüstung präsentiert Tobias Schabel. Heinrich der Schreiber wird von Jürgen Sacher gesungen. Jan Martiník ist Reinmar von Zweter.

Wagners Tannhäuser knüpft an vieles aus dem Holländer an. Neu sind im Tannhäuser der biedere Pomp der Massenszenen („Freudig begrüßen“) und der kraftstrotzende Schwung der Chorstellen, vital gesungen vom Staatsopernchor. Lohengrin lässt grüßen. Das heiße Blut, das Wagner mit dem Tannhäuser der Großen Oper zuführte, ist heute Abend allenthalben zu spüren, was nicht zuletzt das Verdienst eines Daniel Barenboim ist. Die im Schillertheater gespielte Dresdner Fassung klingt kantiger als die oft vorgezogene spätere Version. Daniel Barenboim setzt auf Wärme und Schwung der fitnessgestählten Staatskapelle. Es gibt frische Hörner, gut aufgelegte Streicher. Barenboim lässt vital akzentuieren (4. Szene, 2. Akt). Herrlich das Streicher-Pizzicato unter der Solooboe in der Pilgerszene im ersten Akt.