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Nabittschön, Guy Cassiers Walküre ist gar nicht so übel. Bis auf den letzten Akt. Den wünsche ich nicht mal hochnäsigen Münchener Berlinbesuchern. Und noch viel weniger den zahlreichen Vertretern des englischen Landadels (ich urteile nach dem Äußeren), die am Freitagabend die Staatsoper besuchen.
Was gibt es zu berichten? Im ersten Akt hat das Video einen Schluckauf, worauf es die technische Leitung geistesgegenwärtig abschaltet. Danach klingt die Musik besser. Mit welcher Liebe Peter Seiffert (Siegmund) im zweiten Aufzug der erschöpften Waltraud Meier (Sieglinde) den Mantel zum Kopfkissen zusammenlegt und ihr darauf ein berührendes Bussi gibt, das hatte große Klasse.
Überhaupt gefiel mir Peter Seiffert viel besser als in den Herbst-Walküren. Seifferts Todesverkündigung war ein 5-Minuten-Rückenkribbelvollmassageprogramm. Waltraud Meiers Spitzentöne – die A’s meine ich insbesondere – kommen inzwischen gedämpfter, was sie nicht daran hindert, in Seiffert wie eine Fünfzehnjährige verknallt zu sein. Das Vibrato hat die Geschmeidigkeit verloren. Im unteren Register spricht die Stimme zu Beginn des 1. Akts schlecht an. Meier wird wie immer in Berlin gefeiert. René Pape, am gestrigen Abend noch Rheingold-Wotan, stellenweise stimmschonend singend, singt mit beredsamer, prägnanter Fülle und durchtränkt Stellen wie „Da labte süß dich mit seliger Lust“ (III, 3) mit reinstem Bass-Balsamico. Ein paar Textdreher: „O grässliche Not“ statt „O göttliche Not“. Iréne Theorin, unfreier im Klang, weniger charakteristisch im Timbre, meint es mit den Hojoto-Hohen-C’s zu Beginn des zweiten Aufzugs etwas zu gut. Ekaterina Gubanovas vollschlanker Mezzo bringt mehr Stimmschönheit, weniger feurige Deklamation. Die Frickas von Iris Vermillion (RSB-Walküre) und Lilli Paasikivi (Rattle-Walküre) hatten mehr Feuer unterm Hintern und besseres Deutsch im Mund. Mikhail Petrenko singt mit gebotener Schwärze, mitunter heftig akzentuiert (schallendes „schufen dir Pein„) oder sarkastisch angeschliffen („der Frau hier gib doch Kunde“).
Die übrigen Walküren: Helmwige Susan Foster, Gerhilde Danielle Halbwachs, Waltraute Ivonne Fuchs, Rossweisse: Simone Schröder, Schwertleite: Anaik Morel, Siegrune: Leann Sandel-Pantaleo.
Daniel Barenboim und die Staatskapelle, die schärfste Wagner-Waffe, die Berlin zu bieten hat, spielten das Publikum mit Super-Pianos und unendlichen Melodien an die Wand. Das applaudierende Publikum scheint den Großteil der Barenboimverehrer des Kontinents und der Insel vereint zu haben.
Lispelt Theorin etwas? Meinte in der Schlussszene so was gehört zu haben.
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Schön, die Zeilen über Peter Seiffert zu lesen. Für mich der eindrücklichste deutsche Tenor der jüngeren Generation. Hoppla, er gehört ja auch bereits der älteren Generation an. Doch seine Seriosität lässt seine Stimme auch heute noch so erstrahlen, dass sich viele jüngere Tenöre ein Vorbild an ihm nehmen könnten…
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Ja, Peter Seiffert ist immer noch eine Wucht, wenn die Stimme auch unsteter geworden ist, bzw. einige Zwischenatmer hinzugekommen sind. Im Vergleich mit den „Engländern/Amerikanern“ Lance Ryan, Robert Dean Smith etc. überzeugt zudem die natürlichere Textbehandlung.
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Yes. Dichte an Engländern war sehr hoch. Außerdem haben die die ganzen Brezel weggefuttert.
Meine Rangliste:
1. Pape
2. Seiffert
3. Meier
4. Gubanova
5. Theorin
6. Petrenko
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Haha. Lance Ryan hat den Siegfried am Sonntag verschlafen. Dachte es ging um 5 los. Andreas Schager ist eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn eingesprungen. So was habe ich auch noch nicht erlebt. Kann mir lebhaft vorstellen, wie Barenboim verzweifelt versucht, Lance anzurufen und der schnarcht im Adlon vor sich hin.
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Andreas Schager hat seine Sache übrigens sehr gut gemacht! Er wurde vom Publikum mit Riesenapplaus empfangen – und auch wieder verabschiedet. Er sang in Rattles Zauberflöte um 18 Uhr einen der Geharnischten. Chapeau!
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http://www.staatsoper-berlin.de/de_DE/news_journal/13703/44292/185435
Schager singt auch am Mittwoch Götterdämmerung.
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Flimm sollte Ryan einen Wecker schenken, der sich vollautomatisch mit seinem Kalender synchronisiert. Meine Vermutung ist übrigens, dass Lance in einer netten Bar in noch netterer Begleitung abhing und den 1. Akt kurzerhand sausen ließ. Dazu kommt, dass 16 Uhr für den Siegfried singen eine verdammt unchristliche Zeit ist.
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Der gute alte Lance kann Gift drauf nehmen, dass er ab sofort bei jedem Auftritt in egal welcher Oper einen Kontrollanruf exakt 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn vom Intendanten bekommt.
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Ich glaube nicht, dass Lance Ryan im Adlon übernachtet. Es war übrigens ein toller Abend mit einer Staatskapelle in Höchstform.
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Oh nein. Da habe ich ja wirklich etwas verpasst. Ich habe lange hin und her überlegt ob ich die Karte verkaufen sollte, weil ja gestern noch Villazon in der Philharmonie war und morgen will ich unbedingt in Götterdämmerung
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Haha „in einer netten Bar“
Er hat wohl eher Gitarre gespielt. Auf seinem Blog http://www.lanceryan.com/de/blog.html heißt es so kurz und knapp: „Ich profitiere voellig von Derzeit zu lernen lesen und Chitarre spielen.“
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Der Videokitsch brach nicht im ersten, sondern zu Beginn des 2. Akts der „Walküre“ zusammen, war aber auch da kein Verlust.
Der erste Akt war dank Meier und Seiffert grandios. Wer allerdings mal einen Siegmund hören wollte, der seine Partie nicht nur als vokalen Gewaltakt stemmt, der konnte das eine Woche zuvor bei Christopher Ventris erleben – meiner Ansicht nach stimmlich eine echte Erholung. Leider war dessen Siegmund nicht halb so bussimäßig engagiert wie Seifferts – das muss man zugeben – von daher also wieder langweiliger… tja, man kann nicht alles haben
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Seiffert hatte offensichtlich Konzentrationsprobleme. Ich habe auch den ein oder anderen Versinger bemerkt. Die Souffleuse hat ganze Arbeit geleistet.
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Am gravierendsten waren die Konzentrationsprobleme sicherlich, als Seiffert in „Winterstürme“ zwei Mal hintereinander „Durch Wald und Auen weht sein Atem, weit geöffnet lacht sein Aug'“ singt und die zwei vorangehenden Zeilen „auf linden Lüften leicht und lieblich, Wunder webend er sich wiegt“ einfach auslässt. Wenn ich mich richtig erinnere, fängt er beim 2. Mal „Durch Wald und Auen“ nicht mit „durch“ an, sondern mit einem unidentifzierbaren Vokal. Da hat er wahrscheinlich gerade gemerkt: Hoppla, irgendwas ist hier schiefgelaufen. Leuten wie Seiffert würde ich womöglich sogar durchgehenlassen lassen, wenn sie „Winterstürme“ mit den Worten des Schmiedeliedes aus Siegfried singen würden.
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Das Publikum reagiert auf Petrenko sehr unterschiedlich. Ich habe schon erlebt, dass er ausgebuht wurde. Als ich ihn letztens hörte, bekam er fast so viele Bravos wie Pape. Seine schwarze, röhrende Stimme finde ich persönlich sehr attraktiv. Natürlich setzt Petrenko ein paar Besonderheiten ein, wie das von Ihnen angesprochene Anschleifen, was aber immer als expressives Mittel eingesetzt wird. Was ich als besonders angenehm finde, ist seine aufragende Gestalt. Ich habe in meinem Leben schon genug adipöse Hundings nahe dem Rentenalter gesehen, um diesen schlanken, aufrichtigen Herrn, den Mikhail Petrenkos Hunding vorstellt, schätzen gelernt zu haben.
Grüße
Oliver Heckmann
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