Ein Konzert hat meist zwei Hälften. Eine erste Hälfte und eine zweite Hälfte. Ich meine ein klassisches Konzert. Selten gefallen beide Hälften. Das als Vorbemerkung.

Das Konzert in der Philharmonie warf mehrere Fragen auf. Die erste: Warum spielt Anne-Sophie Mutter in Berlin das Dvořákkonzert, das sie vor genau zwei Jahren mit Rattle besser spielte?

Die Romanze op. 11 hatte mit der Hypothek zu kämpfen, dass dem Programmheft nicht viel zu ihrer Verteidigung einfiel. Das Thema beinhaltet neun Mal das gleiche C, bevor f-Moll verlassen wird – vielleicht 1, 2 Mal zu viel. Ich möchte lediglich andeuten, dass die sonnig-schläfrige Atmosphäre von op. 11 eine ungünstige Vorbereitung für das folgende Violinkonzert gewesen sein könnte.

Anne-Sophie Mutter spielt das Dvořák-Violinkonzert NICHT mit jener heiligen Vierfaltigkeit aus Energie, Rasiermesser-Intensität, stählerner Reinheit und Heftigkeitspedanterie wie im Januar 2011 unter Rattle. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Es liegt an Mutter oder es liegt nicht an Mutter. Jedenfalls bleibt das Orchester als Kollektiv farblos, Solisten ausgenommen (Pahud Flöte, Schweigert Fagott, Meyer Oboe, Fuchs Klarinette). Manfred Honeck dirigiert zum 1. Mal die Berliner Philharmoniker. Wobei dirigieren fast zu viel gesagt ist. Er BEGLEITET als obligater Dirigent die Berliner. Schade, dass Honecks Dirigieren bei Dvořák selten einen spezifischen Klang schafft. Besonders fürs Tutti fehlt ihm eine genaue Klangvorstellung, frei nach dem Motto: Das erste Mal ist besonders schwierig.

Anne-Sophie Mutter ist dann auch fahriger, nervöser, etwas huschtiwuschti (was ihrem Spiel, das bei einigen Gelegenheiten in den letzten Jahren den Eindruck machte, als wäre es mit mehr Akribie konzipiert und durchgeführt worden als der berüchtigte Schlieffenplan, ja auch gut tun könnte) weniger sorgsam, weniger durchglüht. Es lag meiner Meinung auch am Tempo, das Honeck wählte.

Mein Sitznachbar sagt mit jener berlinerischen Offenheit, die erst durch das Fehlen jeglicher Larmoyanz in der Stimme richtig sympathisch wird: „Jetzt kommt der schreckliche Teil“. Es kam die zweite Konzerthälfte. Sie gefiel besser. Dies als Zwischenbemerkung.

Witold Lutosławskis Konzert für Orchester war ein voller Erfolg. Es vereint eine programmatische Schwerfälligkeit, motorische Wucht und idyllische Passagen, und damit ist das Konzert für Orchester ein beispielhaftes, wenn auch äußerst attraktives Exemplar der fortschrittlichen, wenn auch nicht der avantgardistischen musikalischen Produktion der 1950er Jahre. Das bisweilen zu hörende folkloristische Idiom muss man hinnehmen. Es ist dem kommunistischen Zeitgeist der Entstehungszeit geschuldet. Manfred Honeck war hier mehr bei der Sache. Die zweite Frage, die sich aufwirft, ist: Warum waren alle bei Lutosławski besser? Wahrscheinlich haben sie Lutosławski 10 Mal geprobt und Dvořák 0,10 Mal.

Aber, aber, aber… Heute morgen, im Berliner Puderzuckerschnee, erinnerte ich mich doch an die abgrundtiefe Schönheit der Dvorak-Romanze. So kann’s kommen.

Die zwei Konzertmeister (Braunstein, Kashimoto) hat sich vielleicht Anne-Sophie Mutter ausbedungen. Solohornist Stefan Dohr ist nicht da, hört man halt schon.

Fazit/Review Manfred Honeck/Anne-Sophie Mutter Berliner Philharmoniker: Erste Hälfte geht so. Zweite Hälfte gefiel. Das als Nachbemerkung.