Jessas, vier Mal hintereinander Dudamel und Lang Lang. Ich bin gleich am Donnerstag dran. Es war ein Programm, dem der Haken fehlte. Vorne bewährte Moderne, hinten Strauss satt.
Adagio for Strings: Die Aufgabe, möglichst viele Sekundintervalle ohne ermüdende Wirkung hintereinanderzuhängen, wurde von Samuel Barber vorbildlich gelöst. Die Aufgabe, das Ergebnis ohne ermüdende Wirkung zu dirigieren,
wurde von Gustavo Dudamel nicht gelöst. Diese wolligen Soft-Aufwallungen, die mich zuerst an den Dalai Lama und dann an den Flausch-Pulli meines zehn Jahre älteren Kollegen erinnerten (der ansonsten ganz nett ist), nein! Im Herbst spielte das Concertgebouworkest das Adagio. Fand ich damals in allen Aspekten besser. Die Berliner Streicher formten unter Dudamel eine Masse, die sich anhörte wie 40° warme Leberwurst. Das Adagio dauert ziemlich genau verwegene 11 Minuten. Das Concertgebouworkest war maßvoller und schaffte es in 9 Minuten.
Bartók Klavierkonzert Nr. 2: Lang Lang. Da ist er. Immer noch etwas linkisch und pummelig. Auch hier bin ich mit Dudamel nicht zufrieden. Auch nicht mit Lang Lang. Beide, Dudamel und Lang Lang, bevorzugen einen episodischen, impressionistisch bunten Zugang. Erster Satz Linke-Hand-Girlanden. Klavier-Bläser-Palaver. Auf der Detailebene ist immer volle Pulle was los. Das ist alles total lebendig. Die Meta-Ebene (Architektur, Überblick, etc. ) wirkt vernachlässigt, bei beiden. Bei Lang Lang ostentativ gesetzte Akzente und klanglich wilde Vollgriffigkeit, die ich stellenweise höchstkarätig finde. Im zweiten Satz fluffige Tempogestaltung. Lastende, schleppende Tastentrauben von unkonturierter, spätromantischer Klangschwere. Auch hier würde ich sagen: Das war stellenweise genial. Ist ja an sich auch nicht falsch. Ist ja gut, wenn Bartók einmal nicht wie eine Skulptur von Ernst Ludwig Kirchner klingt. Trotzdem gab es in der Pause viel zu diskutieren, und nicht nur die Qualität des Pausenpils oder die fehlende Zugabe. Bei Dudamel brillieren die Musiker mit Holzbläserschnipseln, Schlagwerkschnörkeln, Blechbläsergaudi. Ich habe glasklare, stahlharte Koordination von den Philharmonikern erwartet (Jawoll!).
Die Premiere war in Frankfurt, Januar 1933, mit Rosbaud/Bartók.
In der Pause dachte ich, das Donnerstagabendkonzert könnte nett zu mir sein und besser werden. Es war nett, es wurde besser.
Don Juan: Hysterisch-sinnlicher Elan des Themas. Die Bässe bulliger als gewohnt. Desweiteren war da ein sinnlich leuchtender, träg sich ausströmender, aber bisweilen – besonders unten rum – kompakter, mehliger Streicherklang, der nicht ganz mein Ding ist, aber OK. Glück-ausstrahlende, laszive Hörner (Stefan Dohr in Hochform). Nicht gefallen hat mir eine nicht sehr wählerische, muskelbepackte Buntheit des Orchesterklangs.
Im ersten Langsam-Teil klingt es zuerst wie durchgeknallter Tristan (süchtige Streicherumarmungen) und dann wie herrlich besoffener Tannhäuser (Unsiono-Bläser-Staccati). Die Musiker folgen Dudamels verführerischem Locken. Wunderbares Alfresco des Orchesters. Wenn ich die Berliner Philharmoniker mit Dudamel höre, kommt’s mir immer vor, als hätte ich in der Pause ein Bier mehr getrunken, als ich tatsächlich getrunken habe. Alles schwankt, aber in sehr angenehmer Weise. Als wären die Philharmoniker eine äußerst liebenswerte, leicht alkoholisierte und erstaunlicherweise doch extrem gute Chaotentruppe. 18,5 Minuten.
Till Eulenspiegel: Der Eulenspiegel unter Dudamel ist ein ziemlich schlawinerhaftes Stückerl. Es folgen die Gründe. 1.: schlitzohrige Plauderbereitschaft des gesamten Orchesters. 2.: von zärtlichen Bläsergebärden durchsetztes Orchestergewebe. 3. hell leuchtende Klangtotale. Bei Dudamel höre ich Null Mitleid mit Till, und das ist einer der Gründe dafür, dass der Till Eulenspiegel dieses Sonntagabends Comic-Luft zu atmen scheint. 15,5 Minuten.
Streicher Barber: 25 Geigen, 8 Bratschen, 7 Celli, 7 Bässe.
Konzertmeister Guy Braunstein. Schon lange nicht mehr gehört. Die selbstbewusst unaufgeregte, selbsterklärende Meisterschaft von Andreas Blau (Soloflöte, heute nur kurz zu hören). Stefan Dohr habe ich schon erwähnt. Wieland Welzel (Pauke) bekommt frenetischen Applaus vom Podium. Ganz a bissl kurzes Konzert. Deutlich vor 10 aus.
So ein Schmarrn. Es war ein hervorragendes Konzert, das nicht nur mir sehr gut gefallen hat. Barbers Adagio wurde von den Musikern ganz exzeptionell gespielt. Dudamel ist ein Dirigent mit einer Sensibilität die seinesgleichen sucht.
T.S.
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Barber top.
Bartók zumindest ungewohnt, I agree.
2 x Strauss sehr possierlich, mit leichten Vorteilen für DJ.
Cheers
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Wahnsinn, dieses „Easy Going“ bei Strauss (und bei den Philharmonikern).
Es ist übrigens nicht ohne, wenn die Berliner in gleicher Besetzung (?) an vier Abenden hintereinander Don Juan und Till Eulenspiegel spielen. Danach wäre ich jedenfalls reif für die Insel.
Das Samstagskonzert soll übrigens noch um einiges besser gewsen sein als das am Do. wie mir berichtet wurde.
Grüße aus Pankow
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Heute (Sonntag Abend) gibt Lang Lang übrigens auch keine Zugabe. Don Juan fand ich ganz klar des Beste, was ich von Dudamel in der Berliner Philharmonie gehört habe. Bravo!!
Barber war mir auch zu lang :-)
Es war interessant zu sehen, dass Dudamels Gestik ruhiger (reifer?) geworden ist. Dieses Somnambule und Eruptive, das er in den Konzerten 2012 und auch davor hatte, ist einer größeren Kontrolliertheit gewichen.
G
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War im Samstagskonzert und fands nach der Pause großartig. Die Philharmoniker waren mordsmäßig gut drauf, Sound war gigantisch, sehr schöner Drive. (Definitiv nichts von Kurkapelle, mag sein, dass sie am Donnerstag anders klangen.) Gut, es ist auch Strauß, aber das muss man erst mal so spielen. Konnte nicht ausmachen, wie viel davon auf Dudamels Konto ging. Dass es vor der Pause nicht so lief, lag jedenfalls auch an ihm: zu wenig Bratsche und etwas spröde das Adagio; ziemlich zerhackt der Bartok. Und Lang Lang? Technik wie gehabt auf höchstem Niveau. Aber sonst? Ich gebe gern zu: ich war trotz, nicht wegen ihm da; und fand mein Vorurteil wieder mal bestätigt…
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In der Tat, Don Juan und Till E. waren sehr beeindruckend. Mit Kurkapelle wollte ich andeuten, dass Dudamel einen besonders hemdsärmeligen (meinetwegen auch bajuwarischen, womöglich sogar bajuwarisch-venezolanischen) Zugang zur Musik hatte, der bei Strauss nicht das Allerschlechteste ist, aber bei den Philharmonikern doch auch ungewohnt im Ohr liegt.
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