Gutes Konzert. Interessante Programmschleife von Ligeti über Jeux zur Rheinischen. Zweifelt jemand daran, dass ich mit großer Erwartung auf meinem Platz in Block D links (relativ weit vorne) saß?
Ligeti und Lohgengrinvorspiel attacca – ein typischer aber nichtsdestoweniger brillanter Einfall Simon Rattles. Ligetis Atmosphères sind ein Prunkstück des Orchesters (Kontrabassstelle). Das direkte Ansetzen des Wagnerschen Vorspiels verursacht ästhetisches und physiologisches Kribbeln. Das Lohengrinvorspiel wird vom Orchester rein aus dem schimmernden Klang des Beginns mit den achtfach geteilten ersten Geigen herausgeholt.
Mit dem Einsetzen der Bläser und dann der tiefen Streicher beginnt die Textur eindimensionaler zu wirken.
Debussys Jeux mit romantischem Glanz und mit graziöser Hitze von den Berliner Philharmonikern gespielt.
Das Programm erreichte seinen ersten Höhepunkt mit Ravels 2. Daphnis-Suite, die überzeugend in der Kraft und im Strahlen des Klangs geriet. Ein gutes Stück, um auf der anschließenden skandinavischen Konzerttournee im Namen Berlins Werbung für französische Eleganz und französische Sinnlichkeit zu machen, zwei Tugenden, für die die Bewohner Berlins (noch) nicht weltbekannt sind.
Das Programm erreichte seinen zweiten Höhepunkt mit der 3. Sinfonie Schumanns, die Schumann komponierte, als Wagner den Lohengrin fertig hatte, in Zürich saß oder in Interlaken kurte und Liszt viele Briefe schrieb, in denen er um Geld bat. Die Dritte gelingt Rattle und den Philharmonikern vorzüglich im Detail, aber ebenso wegen des Sinns, den die Musiker für den mehr kongenial und untergründig gespürten als vorschnell vollzogenen Zusammenhang haben. Drücke ich mich verständlich aus?
Erster Satz mit einem hypersensiblen, nervösen, überhaupt nicht überhasteten Schwung. Die 1. Geigen der Durchführung mit hellem, dabei schwermütigem Glanz. Frische der heiklen Horneinsätze (kein Fehler).
Sehr guter 3. Satz, was die Lockerheit der in den Hallraum der Philharmonie gelegten Streicherschleifen angeht, sehr gut dann im ganz ungewöhnlich wirkenden Piano der Fagott-Bratschen-Stelle – Begleitung tiefe Streicher – mit den Legato-Vierteln, später in den traurigen Akzenten der 1. Geigen, und überhaupt in dem feinen, doch nie reißenden und mit hellsichtigen Sforzati durchsetzten Gewebe des Orchestersatzes.
Der 4. Satz „Feierlich“: wachsame, schmerzliche Fülle und überzeugende klangliche Einheit. Bässe und Celli tipptopp. Zum Zungeschnalzen die letzten 3 Takte mit dem subtilen, dreimaligen „fp“.
Die Zuhörer standen auf Treppen und Balkonen. Scheue Klatschversuche nach dem 1. Schumannsatz, die von meinem Sitznachbarn mit einem knurrigen „Sind wir hier im Zirkus oder was?“ quittiert werden. Die hustenden Zuhörer, die in der ersten Konzerthälfte sehr vernehmlich waren, schienen in der zweiten Hälfte mehrheitlich besserer Verfassung, vermutlich aufgrund des Genusses eines Glases Sekts und eines Butterbretzels in der Pause. Potenzielle Huster sollten diesen Hinweis dahingehend verstehen, möglichst VOR dem Konzert ein Glas Sekt und eventuell doch einen Bretzel zu sich zu nehmen. Rattle kommt zur Schumannsinfonie fast bedächtig rein, den Stab anmutig erhoben. Während des Schlussapplauses rennt Rattle zuerst zu den Bässen. Rattle schüttelt Matthew McDonald und dem Kollegen rechts die Hand. Dann rennt Rattle zum strahlenden Andreas Blau, der mit unerschütterlicher Meisterschaft die Flötenstelle im Ravelstück spielte.
Schade, dass Marion Reinhard nicht mehr dabei ist. Die Kontrafagottstelle ist noch offen.
Fazit/Review: Gutes Konzert der Berliner Philharmoniker.
In der Tat wirklich gut gewesen. Vor allem vor der Pause. Leider hatte mir ein Philharmoniker schon vor dem Konzert vom Ligeti-Lohengrin-attacce berichtet, da war der Überraschungseffekt weg. Debussy und Ravel gigantisch. Die Schumann-Ecksätze haben mich nicht überzeugt. Da hätten vllt auch ein paar mehr Streicher nicht schaden können, da hat Power gefehlt; die drei Mittelsätze hingegen sehr schön, bei der kleineren Besetzung haben sich zB zum Anfang des zweiten Satzes die Celli sehr schön mit den Fagotten gepaart. Vllt sollte man/Rattle für Schumann (wie auch für Mendelsohn) schon mit großer Besetzung auflaufen – für die Ecksätze – und in den lyrischen Mittelsätzen nur die halbierten Streicher spielen lassen?
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Aha :-) Und der göttliche Beginn des Lohengrinvorspiels hat Ihnen nicht so richtig gefallen?
Bei Schumann ist meine Hitliste:
1. Satz, 3. Satz, 4. Satz (alle sehr nahe beisammen), 5. Satz, 2. Satz.
Ich fand, dass die moderate Besetzung gerade im ersten Satz zu sehr schönen Ergebnissen geführt hat, zum Beispiel als kurz vor oder nach der Einführung des zweiten Themas in der Exposition die Streicher mit ihren unterschiedlichen Stimmen plötzlich auf einmal zu hören waren, wie wenn die Wolken plötzlich aufreißen und die Sonne rauskommt.
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Doch, doch, auch Lohengrin war schön und genügte hohen Ansprüchen, wenn vllt auch nicht höchsten, denn etwas weniger direkt hätte ich mir die geteilten Geigen dann doch gewünscht, lässt sich aber wohl nur aus dem Graben verwirklichen. Das Göttliche gehört dann doch ein bisschen vernebelt, sonst ist’s Blasphemie ;-)
Die Schumann-Ecksätze waren ja auch schön gespielt, aber gleich in den Eingangstakten, da fehlte mir im ganzen Gestürme doch das Gewaltige und die ruhige Kraft, so würde die Spree über die Ufer treten, nicht doch aber der Rhein, und so waren zwar an vielen Stellen sehr schönen Ergebnisse zu vernehmen, aber der majestätische Charakter fehlte oft. Sicher mit Rattles Absicht, doch so viel passiert ja bei Schumann dann doch nicht, als dass man dessen Fehlen durch schöne Arbeit am Detail ganz ausgleichen könnte. Also, Sie sehen, ich bleibe dabei: die Mittelsätze vor den Ecksätzen.
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Great Ravel, great Debussy, great Ligeti
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„schon mit großer Besetzung auflaufen“ – ganz meine Meinung
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Die Hörner waren eine Wucht. Selten hat man sie so glockenrein JAUCHZEN gehört wie in der 3. Schumann. Das Finale empfand ich als zu leichtgewichtig.
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Nicht zu vergessen ein brillantes, extrem klares JEUX – Analyse und Leuchten
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