Marek Janowski / RSB / Rundfunkchor Berlin / Nina Stemme Isolde / Stephen Gould Tristan / Kwangchul Youn Marke / Johan Reuter Kurwenal / Michelle Breedt Brangäne / Simon Pauly Melot / Clemens Bieber Hirte / Timothy Fallon Seemann / Arttu Kataja Steuermann
Ein konzertanter Tristan mit dem RSB und einer ansprechenden Besetzung. Wie wars?
Nina Stemmes schöne Stimme wurde den Anforderungen der Partitur gänzlich gerecht, was für eine Isolde nicht das Allerschlechteste ist. Stemmes Sopran hat Wärme und Farbe und eine schöne Tiefe in Kombination mit einer bombensicheren Höhe. Wenns richtig zur Sache geht, wird ihre prächtige Höhe flackriger, sprich interessanter. In puncto Timbre, Textnähe und Ausdruck ist Nina Stemme der mit allen Wagner-Wassern gewaschenen Waltraud Meier indes unterlegen, aber wer ist das nicht?
Und damit zu Stephen Gould. Er sieht aus wie ein Bär, er singt wie ein Bär. Er singt prächtig, aber… Stephen Gould verteilt seine A’s und As’s – dritter Akt – im Saal so freigiebig wie ein bestens ausgerüsteter Kanonier. Aber bekanntlich ist ein perfekter Tristan in etwa so häufig ist wie ein Sechser im Lotto. Goulds Kanonaden wären jedenfalls erheblich imposanter, wenn der Amerikaner seinen Stimmentladungen wenigstens eine klitzekleine expressive Färbung mitgeben könnte. Beim Phrasieren im Mezzoforte-Bereich klingt Stephen Gould wie gerade aus dem Winterschlaf aufgewacht. Amerikanische Heldentenöre sollten eine obligatorische Schulung in ästhetisch befriedigender Phrasierung und Textdeutung durchlaufen und zur Kontrolle zur Melodie von „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ zuerst die erste Seite des Telefonbuchs von New York und anschließend den Originaltext singen. Ich wette, bei Stephen Gould würde sich das beide Male identisch anhören. Genug genörgelt. Hut ab vor Stephen Goulds sängerischer Leistung und seinen Orchester-durchstechenden Höhepunkten.
Während Nina Stemme in ihren Pausen mimisch recht aktiv ist und der Zuschauer immer versteht, was in Isolde gerade vorgeht (1. Akt: „So nicht, du Schlingel“, 2. Akt: „Ich könnt dich abknutschen“, 3. Akt: „Meine nächste Affäre wird weniger anstrengend. Aber es hat sich gelohnt“), beschränkt sich Stephen Goulds mimisches Engagement leider auf einen Blick an die Saaldecke.
Kwangchul Youn im eleganten Kittel war der gewohnt makellose Sänger. Wenige machen ihm das nach, keiner macht es ihm vor. Michelle Breedt (Brangäne) verfügt über eine entzückende Stimme, die von ihrer Besitzerin etwas übermotiviert eingesetzt wird. Kurioserweise hat sie das Bedürfnis, jedes noch so leise gesungene Wort mit einem deutlich hörbaren Konsonanten abzuschließen. Höre die Brangäne-Rufe im zweiten Akt: Michelle Breedt singt ihr abschließendes „Nacht“ schön leise wie alle anderen: Von der Oboe bis zur Harfe bemühen sich alle Musiker um „pp“, „dolce“, „verhallend“ oder „ppp“. Und dann, schwupps, lässt Breedt ein knallendes „t“ folgen. Frau Breedt ist verliebt in deutsche Konsonanten, und zwar besonders in solche an Wortenden.
Johan Reuter mit angenehmem Timbre war ein verlässlicher Kurwenal, Simon Pauly, Clemens Bieber, Timothy Fallon und Arttu Kataja ergänzten das leistungsfähige Ensemble.
Marek Janowski leitete das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit deutscher Gründlichkeit. Die Streicher klingen herb und werden streng und erfreulich genau geführt. Die ernsthaften Hörner und die gewissenhaften Posaunen glänzen. Janowski setzt statt auf Wagnerische Glut auf Wagnerische Struktur. Sehr idiomatische Holzbläser – ein Vergnügen! Der ff-Schlag, mit dem der zweite Akt endet, war trocken wie bester französischer Champagner, war zugleich aber eine – Hand aufs Herz – übertrieben hektische Aktion. Der Mann am Englischhorn (Thomas Herzog) hatte den Auftritt seines Lebens und leistete Großes. Der dritte Akt zog sich etwas – das lag nicht am Rundfunk-Sinfonieorchester, sondern an Stephen Goulds unflexibler Tenorstimme. Sobald die kesse Michelle Breedt bzw. die üppige Nina Stemme erschienen, kam wieder deutlich mehr Leben in die Sache.
Huch! Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Orchesteraufstellung in den letzten Jahren einmal gesehen habe: 1. Violinen, 2. Violinen, Bratschen und Celli, schön sauber à la Amerika von links nach rechts im Halbkreis. Das Tempo ist mitunter breiter und wird auffällig zurückhaltend modifiziert. Von Barenboim ist man da ja anderes gewohnt.
Im Publikum sehe ich Bartträger, die Bärte tragen, die man nur in Wagneraufführungen sieht. Ich schwöre, dass ich einige besonders prachtvolle Exemplare das letzte Mal beim Domingo-Parsifal in der Staatsoper gesehen habe. Ich muss sagen, das war das zweite Konzert innerhalb einer Woche, in dem das Publikum irgendwie intelligenter aussah als bei den Konzerten der Philharmoniker. Tsts… Wolfgang Thierse, wie immer in denkbar uneleganten Schuhen, trinkt in der ersten Pause ein gepflegtes Pils. Wussten Sie, dass Thierse Wagnerianer ist?
RSB Tristan Review/Kritik Nina Stemme/Stephen Gould/Michelle Breedt: sehr schön, was das Orchester angeht, Kwangchul Youn ragte in einer guten Besetzung heraus.
pointiert, detailliert, relevant und gewissenhaft. glückwunsch!
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