Festtage 2010 Tristan und Isolde Daniel Barenboim Harry Kupfer Waltraud Meier René Pape Peter Seiffert Ekatarina Gubanova Roman Trekel Reiner Goldberg Arttu Kataja Florian Hofmann

Das waren die Veränderungen gegenüber dem Tristan von vor einer Woche: Waltraud Meier scheint nun vollkommen gesund zu sein, Barenboim nimmt den zweiten Akt etwas weniger schnell, die Staatskapelle spielte fehlerfrei und entfesselter, Peter Seiffert singt hörbar differenzierter.

Die Besetzung ist die gleiche. Der Tristan dürfte mit dieser Festtagsserie zu der Oper aufsteigen, die ich in den letzten fünf Jahren am häufigsten hörte. Ich habe Wagner in München, Wien und natürlich anderswo gehört, aber vom ersten Berliner Barenboim-Tristan an schien mir dieser singulär. Von dem, was man so die großen Momente nennt, gab es das eine oder andere an der Staatsoper (Villazóns Don José, Domingos Simon Boccanegra, vielleicht auch Simon Rattles Pelléas), doch das Gefühl, dass das, was ich gerade höre, weit besser ist als an jedem beliebigen anderen Haus der Welt, vermittelten nur der Berliner Tristan und z. T. auch der Berliner Parsifal.

Tristan und Isolde Berlin Waltraud MEier Barenboim
Mit Waltraud Meier sterben heißt schöner sterben // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Waltraud Meier rutschen zwei, drei Höhepunktakzente (erster und zweiter Akt) etwas zu stark ‚geschrieen‘ aus der Kehle (das passierte – noch stärker – auch Dorothea Röschmann in den Meistersingern bei den vorletzten Festtagen). Die Intensität ihrer Isolde ist beispiellos, andere Sängerinnen mögen ausladender artikulieren, doch das Ausloten von Text und Musik ist ihr eigenstes. Selbsterklärend in dieser Hinsicht die konzentrierte Tongebung der Spitzentöne. Es gibt keinen einzigen Moment, an dem ihre Stimme langweilig klingt. Irgendwie muss die Farbmischung unendlich wechseln. Das Timbre ist schlank, fast leicht, eigentlich wenig metallisch, doch von stechender Ausdrucksfähigkeit. In der Tat scheinen vor allem die Farben komprimiert zu werden – und dann (scheints) mithilfe eines ungewöhnlichen Gestaltungsvermögens den jeweiligen dramatischen Erfordernissen angepasst zu werden. Selbst wenn sie nicht in Bestform ist (wie vor einer Woche oder im Juni 2008, als sie aus Zürich herflog), ist sie faszinierend bis in jeden einzelnen Konsonanten hinein.

Peter Seiffert stand vor einer Woche nur herum und sang wie ein Lautsprecher. Heute zeigte er, dass er auch leise kann. Das hingebungsvolle Agieren im dritten Akt schlug sich auch in einigen ‚unsängerischen‘, überemphatischen Phrasenschlüssen nieder. Im zweiten Akt bei halblauten Stellen (ich glaube jeweils auf dem Vokal ‚e‘) einige Stimmrisse. Dennoch fehlt mir an Seifferts Stimme ein Stück weit was Individuelles in Timbre und Ausdruck. René Papes furchterregend gutes Legato, seine kultivierte Sonorität, die Kraft und pure Schönheit der Stimme taten das ihre. Papes letzten Marke im August 2009 fand ich von einigen Manierismen gefährdet. Das war jetzt anders. Matti Salminen hatte in dieser Rolle im Vorjahr mehr Majestät, mehr Sean-Connery-Aura. Pape ist zurückhaltender. Dafür hat Pape im Vergleich mit Matti Salminen die Nase als Gurnemanz vorne.

Trekels Amfortas konnte ich nie viel abgewinnen, seinen Kurwenal finde ich überragend. In Sachen Textgenauigkeit ist er ähnlich gut wie Katharina Kammerloher oder Waltraud Meier. Trekel gibt einen kernigen, hitzigen, sympathischen Kurwenal. Ekatarina Gubanova ist leiser als Michelle Deyoung, doch unvergleichlich stimmschöner und rührender. Ich hörte nie ein flutenderes, kostbareres, seelenvolleres ‚Dir zu entsagen‘.

Ich wüsste nicht, wer einen befriedigenderen, überwältigenderen Tristan dirigieren sollte. Ich habe auch nie einen besseren gehört und zweifele, ob ich je einen besseren hören werde. Wer sollte das machen? Rattle liegen wohl eher Holländer, Meistersinger oder Parsifal, wenn er sich denn einmal daran machen sollte. Thielemann ist nicht der Typ für den Tristan. Dudamel könnte dereinst wohl einmal einen Tristan machen, der das Höchste will und auch schafft. Aber das wird wohl noch 15 Jahre dauern. Die Wackler und Schludrigkeiten des Orchesters der letzten Woche erklären sich wohl mit einem kompletten Probendefizit. Heute war alles an Ort und Stelle.