Ist der Dvořák-Zyklus der Staatskapelle – Neunte, Siebte, Sechste, jetzt die Achte – zu Ende oder kommt da noch was? Klar, die Sinfonien 6 bis 8 sind keine Neuentdeckungen. Man hörte sogar die Dritte schon bei DSO/Hrůša, die Fünfte schon bei Philharmonikern/Petrenko. Dennoch war der Dvořák-Viererpack Unter den Linden extrem erfrischend. Und im Rückblick überzeugte die Interpretation der Achten unter Elim Chan am wenigsten, die der Sechsten im Frühjahr unter Popelka am meisten.
Aber was macht denn Patricia Kopatschinskaja mit Bartóks unglaublich gutem Violinkonzert Nr. 1? Kopatschinskaja gibt Bartóks Erstes mit feurigen Spitzentönen. Bei der sehr persönlichen Phrasierung, bei einigen Artikulations-Exzessen gehe ich nicht mit. Aber wie sie spielt, ist exzellent. Satz 1 ist eine glühende Walze, Satz 2 ein verrücktes Rodeo. Das lyrische Thema bei Kopatschinskaja: ein Traum.

Ihr Spiel steht unter den beiden Sternzeichen Wilde Zärtlichkeit und Krasse Individualität. Man meint, Intonationsschwankungen zu hören. Oder ergibt sich dieser Eindruck als Folge des plötzlichen Gebrauchs von vibratolosem Spiel? Kopatschinskaja hüpft wie ein wilder Flummi neben Chans Pult hin und her. Zum Bedauern ist Chan hier eher keine ebenbürtige Partnerin.
Über die Zugabe soll für Besucher des heutigen Konzerts in der Philharmonie an dieser Stelle nichts gesagt werden.
Die Achte von Dvořák wackelt wie Wackelpudding mit Wodka. Der Klang ist struppig wie das Fell einer Promenadenmischung. Die Durchführung wird von (okayem) Tempo und (zu viel) Drama angetrieben, die von wilden Geigenläufen flankierte Trompeten-Reprise des Introduktionsthemas setzt noch mal einen drauf. Dabei wirkt die frappierende Achte nicht weniger unkonventionell, als es Sechste und Siebte sind. Sie ist unheimlich kurz. Nur das Adagio hat zerklüftete Länge. Der dritte Satz ist ein flüchtiger Walzer. Die Ecksätze sind mit genialen Formideen und Melodien im Überfluss echtester Dvořák.

Ich höre die Dvořáksinfonien inzwischen lieber als die von Brahms.
Was sagt die frühe deutschsprachige Publizistik zur Achten? „Sie ist… kaum noch eine Sinfonie zu nennen, dafür ist sie viel zu wenig durchgearbeitet und in der ganzen Anlage zu sehr auf lose Erfindung begründet“ (Kretzschmar, Führer, 1900 ca).
Jetzt wissen Sie es.
Moll-Stücke mag ich nicht
bei Var. 21 wär beinah jemand gestorben
deshalb spiel ich auch Var. 25, die schwarze Perle erst zu meiner Beerdigung
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Heute gabs einen Abend im Apollo-Saal, der denkwürdig war. Vorgestellt wurde ein Erard-Flügel von 1853, auf dem Clara Schumann, Brahms und Liszt gespielt haben. Christian Thielemann höchstselbst gab sich die Mühe zu erklären, daß dieses Instrument zeige, wie romantische Musik damals geklungen haben und gedacht sein könnte : nicht auftrumpfend, laut und überwältigend, sondern warm, ein wenig kammermusikalisch, jedenfalls halb so laut wie heute.
Zitat Thielemann : Wagner-Sänger gabs damals noch keine.
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Es trat u.a. auf ein Bassbariton des Opernstudios namens Manuel Winckhler (Zitat Thielemann : der Winkhler kann das) mit 5 Brahms-Liedern. Der hörte sich an wie eine Mischung aus Fischer-Dieskau und Thomas Quasthoff, nur ein wenig tiefergelegt. In 20 Jahren singt der hier Wotan, wenn er so weitermacht.
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Und dann gab es das ganze Hauspersonal der Staatsoper : der Studienleiter spielte das Klavier. Hochromantisch, höchst musikalisch. Auf einem Flügel von 1853. Nicht auftrumpfend. Und der Solo-Cellist der Staatskapelle und der Konzertmeister genauso.
Ein wunderbarer Abend. Wir sind verdorben.
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Kinder, habt Ihr schön gespielt, sagte Thielemann am Ende.
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So als Kapellmeister, wie er sich zwischendurch selbst bezeichnete.
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Weiß nicht, ob alles stimmt, was Brachmann zum Musikfest schreibt. Der Fokus auf Berio und Boulez ist in Berlin ein alter Hut. Berio wurde unter Rattle in guten Konzerten relativ vollständig durchgespielt (https://www.digitalconcerthall.com/de/artist/62), Boulez gabs von Rattle und Barenboim en masse. Klar kann man das subsumieren unter „neu befragt auf die Berechtigung ihrer jahrzehntelangen Dominanz im Betrieb“. Naja, und dann „finnougrisches, orthodoxes und baltisches Europa“ versus „karolingische Dominanz“. Aber trotzdem ein feiner, lesenswerter Bericht.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/musik-und-buehne/konzert/die-eroeffnung-des-musikfestes-berlin-110668501.html
Ich ginge mal wieder hin, wenn ein französisches Orchester relativ vollständig die frühen Sachen von Saint-Saens spielen würde (plus Cellokonzerte mit Camille Thomas, bspw mit den Orchestern aus Lille, Bordeaux, Straßburg), ein tschechisches die Sinfonien 1-6 von Dvorak, ein polnisches (wuppe, ob aus Posen oder Breslau) die Klavierkonzerte von Scharwenka oder viel von Penderecki, ein skandinavisches die Orchesterwerke von Atterberg, Alfvén oder Petterson, das ORF mit einem Abend Schreker pur, ein britisches Elgar-Ouvertüren/-Tondichtungen complete oder toutes les Sinfonien von Vaughan Williams. Oder das RSB ein paar Henzesinfonien. Oder ein paar Litauer machen extrem viel Baltisches zwischen 1945 und 2025.
Funny, dass Francois „Pimmel-Franz“ Roth doch schon wieder Philharmoniker-würdig ist.
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Eigentlich hab ich nur mal, als ich ganz jung war, mit dem Winfried Radeke, jetzt Chef der Neuköllner Oper, im FU-Chor ein paar Stücke gesungen. Der schaute mich schon damals an, als ob ich nicht ganz dicht sei.
Egal.
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Horowitz konnte fast alles, bis auf Mozart oder Beethoven :
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Habe gelesen, daß Asmik Grigorian bald einen Abend mit Rachmaninov-Liedern geben wird. Mein Sohn liebt das; vielleicht gehen wir dahin.
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Es gibt kein besseres Musikstück als dieses (jedenfalls kenn ich keins):
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Dvorak wurde erst so richtig gut, als oder nachdem er in den Staaten war. Da oder danach hat er seine schönsten Werke geschrieben; es hat ihn befreit.
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