Mal wieder La Traviata im Großen Saal der Staatsoper.
In der Titelrolle diesmal: Jeanine de Bique. Alfredo ist Volkov, Germont Petean.
Jeanine de Bique liefert Licht und Schatten. de Biques Violetta wirkt aufregend kühl. Wenn sie leidet, dann selbstbestimmt. Die Silhouette ist schmal, der Sopranklang reich und intensiv. Die Stimme gurrt dunkel, und in den Tiefen der Kehle glüht ein Bronzekern. de Bique ist gut in den Ausbrüchen von Morrò und È tardi, bei den Leidensakzenten von Addio al passato. Allerdings ist da viel vokale und eher wenig verbale Erregung. Weil Frau Bique einen Einheitsvokal irgendwo zwischen A und O draufhat und die Textverständlichkeit bei 45% liegt. Dazu kommen gesäuselte Piani. È strano ist langweilig, Sempre libera gerät zu muskulös. Fazit: Ihre Interpretation ist unausgeglichen. Aber nie konventionell.

Ich lobe Bodgan Volkov. Sein Aussehen: schlank, überhaupt sehr ansehbar. Er stellt mit heller Tenorstimme eine lyrisch-forsche, rather moderne Männlichkeit aus. Dabei tönt der Ukrainer unitalienisch, sein Gesang scheint weniger spontan wie der von Pene Pati. Doch Volkov phrasiert sorgfältig, der Vortrag zeigt Farb- und Dynamikwechsel und ist voll feiner vokaler Gesten. Ein überaus gelungenes Porträt.
Für den Germont schließlich hat George Petean kontrolliertes Volumen und Legato, zurückhaltend eingesetztes Metall und eine Prise Gefühl. Germonts Mitleid wirkt – durchaus rollenkonform – kühl, ebenso wie die konzessionslose Statuarik der Erscheinung.
Jérémie Rhorer schafft es endlich einmal, mitreißende Chöre zu dirigieren (Hm, könnte man trotzdem die Refrains des Trinklieds einmal proben?). Rhorer haucht definitiv dem Szenischen (die vielen Auftritte) Leben ein. Das Becken klingt heute sensationell. Aber am Anfang läuft es öfter ungenau und zu schnell für die Solisten. Und die Vorspiele spulen vibratolos und ohne Empathie ab.
Die Nebenrollen sind adäquat besetzt. Natalia Skrycka füllt die Flora mit Temperament und Mezzo. Adriane Queiroz ist eine kraftvolle Annina, Junho Hwang ein sehr vernehmlicher Gastone.

Ich warte ja doch auf eine Besprechung hiervon:
Peter Rose fand ich mal nich so doll.
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vielleicht geh ich ja doch hin?
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Eindrücke vom zweiten Besuch: Tatsächlich vibratolos ist nur das Vorspiel zum 3. Akt. Auch wenn man hier die Ausweglosigkeit betonen will, es bleibt irgendwie verkopft. Rhorer überakzentuiert Tempogegensätze wie damals Harnoncourt, zerdehnt bei langsam, beschleunigt bei schnell. Ah, fors’è lui und Addio del passato sind zäh – die Chöre prickeln straff.
Volkov singt die Cabaletta O mio rimorso auch heute dünn (bis zum B geht es), aber generell ist der unverbrauchte, frische Zugang bei ihm auch heute mitreißend. Und de Bique hat eine tolle Stimme, am besten schienen heute Sachen wie die expansiven Aufschwünge im Duett mit Germont bei Piangi, piangi oder im Finale vom 2. Akt. Sie ist eine Sängerin, die durch intensiven Klang berührt, da geht sie mit einem Furor ran, der einer differenzierten Interpretation dann aber auch mal im Weg steht. Säuseln tut sie das Piano aber nicht, nur im Duett mit Petean bei „Ah, dite alla giovine“, was aber vielleicht auch auf Rhorers Konzeption zurückgeht. Petean ist der vokale Fels in der Brandung.
Barbara Skora als Flora nicht schlecht, aber sie braucht schon noch, bis sie Skryckas Flora adäquat ersetzen kann.
Kurz bevor Violetta starb gab es offenbar einen medizinischen Vorfall in der 8. Reihe, der hoffentlich besser ausging als das, was auf der Bühne geschah.
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Kann ich schon verstehn, wenn sich einer den Petean zweimal ankuckt. Aber ist dessen Rolle nicht gradezu der angebliche Fels in der Brandung? Pura siccome un angelo, usw.
Hab mal in der Volksbühne eine lustige Parodie darüber gesehn, irgendwas mit Tütensuppe und Sophie Rois
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„Und die Vorspiele spulen vibratolos und ohne Empathie ab.“ – Autsch. Ist das ein Todesurteil? Nach manch einer Repertoire-Traviata dachte ich mir: Ach, eigentlich ist das Preludio vor dem dritten Akt die schönste Nummer der ganzen Kiste.
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