Ein heftiges Konzert mit bekannten und unbekannten Filetstücken.

Zu den unbekannten zählt Twill by Twilight vom großen Toru Takemitsu (1988). Das fließt entspannt, elfeinhalb Minuten ständiges Losgehen und Ankommen, wurde von Takemitsu in hellwaches Gewebe („twill“) gesetzt, überrascht als vieldeutige Reise durch die Dämmerung („twilight“). Das Stück ist besser als jede 24-Stunden-Pflege.

Matthias Pintscher dirigiert das RSB.

Das bekannte Filetstück im Konzerthaus ist das 3. Klavierkonzert von Béla Bartók, das Knappheit mit Souveränität mischt. Cédric Tiberghien soliert. Er tut es klar. Der Rhythmus ist scharf geschnitten, der Ton objektiv, doch von französischer Farbe gefüllt. Man muss hören, wie er die Wiederaufnahme des Chorals im Adagio spielt. Die Empfindung kristallklar, die Umspielungen eisenfest, Tempoflexibilität, Abschattierungen nur da, wo von der Musik unbedingt erfordert. Das ist gut. Chamayou und Aimard spielen feinsinniger. Aber hier erhalten Trauer und Trost ein unverrückbares Gewicht.

Ist Neharot (2020) Pintschers bislang bestes Werk? Es gefällt mir besser als das fiepsige Mareh (En sourdine ist ähnlich) und vermeidet zwei Fehler Neuer Musik: Es ist weder zu lang (bis auf ein, zwei Minuten, Beginn drittes Drittel) noch nervig redselig. Beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin klingt Neharot wie ein Weiter-Ausholen von Takemitsu. Ähnlich langsam fließt der Musikstrom, aber entfaltungsintensiver, ja, eruptiv durchsetzt. Neharot ist ein „Ganzes“. Das Trompetensolo dient als Motto-Klage und Gebet-Rezitativ, mit ihm beginnt gefühlt das Stück erst ganz. Corona-Tristesse und hebräische Wortbedeutungen schwingen im Background als Folie mit, gefährden aber nicht die Vieldeutigkeit.

Zum Schluss Ravels Wiener-Walzer-Allegorie La Valse, vollendet genau in den Monaten, als Frankreich, USA und Großbritannien Österreich-Ungarn filetieren. Das Orchestervirtuosenstück will für mich, trotz Walzer im Hypermaß, nicht ins Programm passen. Pintscher leitet robust.

Der Einführungspodcast ist wie immer prima.