Unter den Linden sehe ich Philipp Stölzls Fliegenden Holländer.
Die Inszenierung bietet wenig Regie- und viel Erzähl- und Fabuliertheater. Und kein Video. Dafür arbeitet Stölzl mit zwei Erzählebenen, die sich erstaunlich geschmeidig in Wagners Wortlaut lösen, Dalands trüber Realität und Sentas hochfliegendem Traum.
Senta singt Ricarda Merbeth. Die verströmt mit kraftvollem Sopran hochromantische, zum Fieberwahn neigende Gefährlichkeit. So tönt das Johohohe zu Beginn der Ballade als leise Evokation, hat die Attacke sopranpräzisen Biss, eröffnet sie jede der drei Strophen, wenn ohne Sicherheitsnetz gesungen wird, gestochen scharf, überdies rhythmisch passgenau. Die Stimme hat unten in den letzten Jahren etwas verloren, aber nicht Klarheit, Kontrolle. Die Sopranspitzen sind Eisen- und Stahl-bewehrt. Ist sie nicht die beste Elektra? Klang, jetzt mit Merbeth im Ohr, Grigorians Bayreuther Senta nicht unbedarft, angelernt? Die Schauspielerin der Senta stellt ja eine Mischung aus kindlich Verträumtem und verlümmelt Görenhaftem dar.
Andreas Schagers Erik, der ist ein gestandener Mann, und ehrlich in der Verzweiflung – kein Jüngling. Im Finale könnte man sich plötzlich vorstellen, dass dieser Erik sich seine Liebste schnappt und mit ihr ausbüxt, um zusammen eine Art zweites Siegfried-Finale zu singen. Gut der offene, helle Stimmklang, und wie Schager das Heldische zurückdrängt, und gleichwohl durchschimmern lässt. Stets – manchmal zu sehr – spürbar bleibt das Bemühen um schlanke Tongebung, in die Linie eingebundene Piani, korrekte Schleifen. Die Aussprache ist unmittelbar lebendig. Die Folge: 1a Bühnenwirkung. Mein Herz tönt hier lyrisch, dort steif. Was musst ich hören gestaltet der Österreicher drängend, Willst jenes Tags frei und feurig. Und eben nicht verdrückt à la Spieltenor wie Mužek in Bayreuth.
Steuermann Siyabonga Maqungo? Ahhh, der ist gut. Da wird liedhaft, ja, fast manieriert pointiert gesungen, aber jedes Wort blitzt, der Klang schimmert voll Verve, die Höhe ist fest, das Piano klar. Aber wie gesagt, der Vortrag streift in seiner Wortdeutlichkeit das Ironische. Überzeugend Maqungos Spiel-Elan.
Bleibt der Holländer.
Den singt James Rutherford baritonflach, mit breiter, weichtexturiger Mitte und Höhe. Die Spitzentöne haben Spannung, aber sind flau. Dann ist auch noch das Spiel neutral. Die Folge: eine Bühnenpräsenz weitgehend ohne Drama, man bekommt den Eindruck, die Oper liefe am Holländer vorbei. Was auch damit zusammenhängt, dass der fluchbedrückte Held meist aus dem Bühnenmittelgrund singen muss. Aber auch damit, dass Rutherford eine eindringlichere Gestaltung des Vortrags abgeht, Folge eines muffig-unidiomatischen Deutschs.
Falk Struckmann, vor gut zwei Jahrzehnten selbst ein finsterer Kapitän mit der Staatskapelle, ist Daland. Statt behäbiger Bonhomie gibt Struckmann plauzige Rauheit, und das wird durchaus Inszenierungs-konform gespielt. Da steht ein Daland, dessen Geldgier ausgeprägter ist als das Legato. Anna Kissjudit bringt für die Mary eine mächtige Stimme. Bei der Sprach-Performance ist noch (Alt-)Luft nach oben.
Pablo Heras-Casado leitet mit Dampf, kaum mit symphonischer Fülle, dafür latent aggressiv, in jedem Takt bereit für Kampf und Krawall der Elemente. So tönt alles etwas laut, etwas abgerissen, etwas trocken. Womit Heras-Casado u. a. die gutmütige Biederkeit der Dalandszenen erfolgreich unterläuft. Ich bin leicht enttäuscht. Die Bläser haben unter Casado einen sehr mittelmäßigen Abend.
LikeLike
Mit 20 fand ich Wunderlich, Schwarzkopf, Callas super, jetzt tendier ich eher zu Dieskau, Nilsson (schräger Vergleich, ich weiß), Tebaldi/Stella.
LikeLike
Schager hat Barenboim angeblich erzählt, daß er das früher zweimal am Tag sang – also warum nicht Tristan?
LikeLike
Es gibt fast unendlich viele Lieder ohne Worte von Mendelssohn :
und so übe ich gleich das nächste, anstatt mich in der nächsten Tosca oder Holländeraufführung zu langweilen. Und das beste ist : ich rege mich nur über meine eignen Fehler auf.
LikeLike
Die Staatsoper hat halt einen Tenor, der zwischen Tristan und Tamino fast alles singen darf. Fehlt jetzt nur noch ein wenig Operette, denn da kommt er eigentlich her.
LikeLike