Reines Mendelssohnprogramm im Großen Saal der Staatsoper.
María Dueñas spielt das Violinkonzert op. 64 hinreißend. Ihr Spiel ist klangvoll. Dueñas ist wunderbar talentiert, in einem Maße, wie das bei Hadelich der Fall ist.
Ich hatte echt Bammel vor Dueñas. In Paris unter Mikko Franck gab sie das e-Moll-Konzert quälend übermotorisiert, das klang selbstverliebt, und die Arpeggienstelle beim Repriseneintritt tuckerte damals wie ein derber Zweitaktdieselmotor, das Andante war Soap Opera pur. Und dann heute: Sie kommt, sie spielt. Heute Abend gibt es nicht Dueñas mit ein bisschen Mendelssohn, sondern Mendelssohn mit viel Gefühl, aber auch mit viel (Kunstsach-)Verstand.
In der Kadenz nimmt sie jeden Abschnitt – Triolenarpeggien plus 1/16-Aufstiege, Trillerpassage, in die Reprise mündendes a tempo – hyperindividuell, einiges dramatisch langsam, da ist viel Drama queen, aber auch immenses Können. Ihr Vibrato zittert enghubig schnell, bisweilen wird die Grenze zum Überempfindsamen überschritten. Eigenwillig gestaltet die Geigerin das kleinräumige Tempomanagement, doch Staatskapelle und Thielemann geben dem generös Raum. Das Wichtigste aber, das Spiel der Spanierin ist sprühend lebendig, vorwärtstreibend in den höllisch genialen Spielepisoden Mendelssohns, voll Fantasie selbst noch im Presto (Es bleibt unklar, ob Dueñas Thielemann jagt oder Thielemann Dueñas).
Das Andante kommt mehr als Träumerei denn als Gesang, mehr intim verspielt als nobel kantabel, hier und da unstet im Ton, nie indes ungut redselig. Die Technik der aus Granada Gebürtigen dürfte, erstem Hören nach, noch nicht ganz so unvorstellbar impekkabel sein wie bei Zimmermann, Hahn, Batiaschwili.
Das Mendelssohnkonzert könnte ich jeden Monat hören, in dieser Saison waren schon der extrem gute Hadelich bei den Philharmonikern und eine passable Ibragimowa beim RSB zu Gast.
Die Hebriden vorher und die a-Moll-Sinfonie nachher vervollständigen den Mendelssohnabend. Die Staatskapelle bietet effektvolle Piani und beeindruckende Schönheit des Klangs. Ist jemand von den Philharmonikern im Saal? Das ist der schwere symphonische Stil von Christian Thielemann, mehr Breitwand als hochkant. Da werden die Tuttispitzen ummantelt vom rauschenden Neobarock des Orchesters. Weichsatt ausgerundet die Streicher, krass delikat die Holzbläser. Solch festive Sonntäglichkeit im Klang gabs bei der Staatskapelle noch nicht – und überhaupt, wer kann solchen Klang außer den Wienern und den Namensvettern aus Dresden?
Ich hätte wetten können, Thielemann unterließe wie einst Karajan (und früher alle anderen) die Wiederholung der Exposition in der a-Moll-Sinfonie. Aber Thielemann wiederholt, genau wie der exzellente Petrenko unlängst bei den Philharmonikern.
Morgen ist übrigens die Derniere der Rusalka, diesmal mit dem dicken böhmischen Gefühlspinsel dirigiert. Sängerisch fast noch besser als die Premiere.
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Aber wenn man sieht, wie viel Anstrengung der Mann in die Musik legt : was für dicke Backenmuskeln er hat! Zum Ausgleich wedelt er dann immer mit allen linken Fingern, sogar nachdem er abgeht, damit die Musiker und er locker bleiben und einfach schön spielen.
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Am Ende dankte er den Musikern so empatisch mit etwas Abstand, daß ich dachte : so ganz sein Orchester ist es noch nicht. Soll es das werden?
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Die Thielemann-Orchester können halt alle diesen warmen, satten Klang. Viel schöner als die phiharmonische Kälte.
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Ich kann schon verstehen, warum die (Berliner) Philharmoniker Thielemann nicht wollten. Solch einen Klang zu produzieren wäre doch nun zu viel verlangt gewesen.
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Hat sie den Spitzenton am Ende aus Versehen verschluckt, oder hatten sich die zwei abgesprochen, ihn nicht oder nur ganz leise zu spielen ? Sowas soll es ja geben, sogar bei di quella pira. Und was war die Zugabe ?
Nur die ersten beiden Sätze der Sinfonie klangen ein wenig rauh und ungehobelt. Entweder war die Kapelle noch nicht richtig warmgespielt, oder zu wenig geprobt, oder die Musik ist einfach so. Aber sonst für einen Einspringer am Pult schon alles ziemlich gut… kleine Untertreibung
Wann kriegt man schon so ein Programm, so ganz ohne Schönberg, Janacek, Bruckner, Webern, Schostakowitsch oder wie sie alle heißen.
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Ich hatte den Eindruck, sie spielte von Anfang an mit purer Innerlichkeit und reiner, nicht auf Effekt gerichter Musikalität. Ob ihr Thielemann das so geraten hatte? Jedenfalls lächelte er immer wieder ganz verzückt. Am Ende gab er den Taktstock ab und setzte sich auf den Stuhl am Dirigenteingang, um die Zugabe zu hören.
Sie ist 22! Und spricht fliessend Deutsch mit Wiener Tönen.
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Vielleicht hat er ihr gesagt : spiels doch einfach so, als ob du in Wien wärst (dort hat sie studiert). Denn dort können sie’s einfach so.
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Nee, sie spielt das immer so. Ohne auftrumpfendes Hohes C am Ende.
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