In der Philharmonie spielen die Berliner und der Geiger Zimmermann Elgars dreisätziges Violinkonzert. Das steht in h-Moll, ist höllisch lang, und erfrischend konventionell, was Satzfolge und -charaktere angeht. Aber lange zehn Minuten dauerts, bis im ersten Allegro Orchester- und Soloexposition geschafft sind. Die Kadenz setzt Elgar – ungewöhnlich – ganz an den Schluss. Selbstverständlich ist das Opus 61 wunderschön. Schwung und Flow der ersten, Schmelz und Schmalz der zweiten, lyrischen Themen sind unwiderstehlich, der Geigenpart ist bis in die Figurationen hemmungslos gut.

Wie spielt Frank Peter Zimmermann? Erst Mal klingt der Elgar kurzatmig (Kopfsatz) bis detailreich (Finale). Auf Leidenschaft wird verzichtet. Ebenso auf expansive Phrasierung. Deshalb ähnelt Zimmermanns Spiel dem von Capuçon. Aber der Ton ist präsenter, das Vibrato selbstbewusst, die Mischung aus hochsouveränem Können, Ironie und hart erarbeitetem Temperament gehört zu 100% Zimmermann. Der Deutsche spielt das Konzert, wie sonst niemand. Fast zelebriert er das Einmünden in die Reprise: zersplitternde Geigenfigurationen, während im Orchester das Thema à la Mendelssohn zurückkehrt. Das tönt diesseitig Pomp-befreit, frei von belle époque-Wehmut.

Als Höhepunkt kommt das Andante (auch wenn Zimmermann im letzten Teil die Spannung nicht ganz halten kann). Langsam genommen, kann der Satz ungut an das Adagio aus Brahms‘ 1. Klavierkonzert erinnern. Nicht so heute. Ist das mehr Empfindung oder mehr Verstand?

Im Finale lässt die Kadenz ganz am Ende wie immer ratlos. Überdies war die Wiederaufnahme von Themen aus dem ersten Satz Anno 1910 eine ziemlich abgenudelte Idee. Lustig auch (es sei denn man ist Brite) die Geheimnistuerei um das Motto Aquí está encerrada el alma de….. Denn an Musen herrschte bei Elgar nie Mangel. Der Komponist wusste vielleicht selber nicht, ob die alma encerrada, die geheimnisvoll dies Werk beflügelnde Seele, Alice „Windflower“ Stuart-Wortley gehörte, oder Helen Weaver oder doch Julia „Pippa“ Worthington. Sicher scheint nur, dass es nicht die von Elgars Frau war.

Dima Slobodenjuk, der Petrenko ersetzt, präsentiert einen Elgar ganz ohne altmodisches nobilmente, ohne Britishness, ohne Fisch und Chips. Ja, so locker muss man das mit dem Orchester auch erst Mal schaffen. Das Finale nimmt der Dirigent zu leicht. Nicht ganz mein Ding.

Extremst geglückt die Zugabe von Ernsts Schubert-Adaption Erlkönig. Vielseitig, viersaitig, brillant. Endlich ein richtiges Zugabenstück.

Beim DSO war die viersätzige Tondichtung Lemminkäinen (Vier Legenden aus Kalevala) in letzter Zeit zwei Mal zu hören. Zwei Mal sind es jetzt auch beim Berliner Philharmonischen Orchester. Bei Slobodenjuk überzeugen Zug und Tempo. Aber Lemminkäinen klingt hier zu impressionistisch, da zu Straussy. So als wollte man zeigen, wie crazy aufregend der Sibelius ist. Der erste Satz, Lemminkäinen auf Saari: die hochmütige Kyllikki ist heute eine lustige Pariserin. Der Schwan von Tuonela: klingt mehr nach Spree im Sommer als nach Tuonela, dem Totenreich.