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Problemfall Aida!

Was machen als Regisseur mit Triumphmarschgedöns, was mit klamottigen Ägyptenanspielungen, mit Ballettgehopse (2. Akt)?

Benedikt von Peter macht an der Deutschen Oper Berlin drei Dinge: Er konzentriert sich auf die Ménage à trois Amneris-Radamès-Aida. Er kippt Papppyramiden und Triumphmarschtümelei in den Papierkorb – so weit weg von Ägypten war noch selten eine Aida. Er lässt rotieren: Die Chormusiker sitzen unter den Zuschauern. Das Orchester sitzt hinter den Sängern. Die Sänger singen hinter den Zuschauern.

Es funktioniert. Es ist räumlich aufregend, intensiv und mitreißend. Das Publikum dankt mit prasselndem Beifall.

Ja, Benedikt von Peters findiges Aida-Konzept hat auch Durchhänger. Aber von Peter zeigt so viel Neues, dass man als Zuschauer bei manch Hergeholtem das Hirn auf Durchzug stellen kann, ohne dass das Vergnügen an dem Abend ernsthaft Schaden nähme.

Bitterernster Zickenkrieg

Insbesondere Serjan und Smirnova sind Verdistimmen allerersten Zuschnitts, beide verfügen über reiches Volumen und reichen Ton.

Aida Berlin Tatiana Serjan Anna Smirnova Alfredo Kim

Die schlankhohe Aida Tatiana Serjan ist an der Deutschen Oper die Liebes-Fatamorgana von Erfolgsmilitär Radamès. Erscheint sie, bringt sie Amneris zur Weißglut. Singt sie, wetzt Amneris schon das Messer. Tatiana Serjan schlurft wie ein Gespenst über die Bühne und singt mit selbstbewusstem Timbre, das auch im lyrischen Arioso unter die Haut geht. Ich höre einen festen Klangkern, ummantelt von einem gebieterischem Vibrato, und all das zusammengemixt in einen verführerischen Sopranklangcocktail. Leuchtend die Pianissimi in der Nilarie („O patria mia“), bezwingend ihr großer Verditon, optisch hinreißend als lockenumwallte Vision des Stubenhockers Radamès.

Denn wo Radamès Alfred Kim seine Feldherrnerfahrung her hat, weiß niemand genau. Und so gerät der schlappe guerrier als Brillenträger, als weltfremder Zögerling unversehens in den bitterernsten Zickenkrieg zwischen der sehr realen Amneris und der gespenstisch irrealen Aida. Und geht als verträumter Idealist mit wehenden Fahnen unter. Kim singt das mit passend tonschlanker Tenorstimme, klangedel timbriert, mit einer aparten Mischung aus jungenhaftem Klang und röhrender Männlichkeit.

Lady Macbeth von Theben

Amneris Anna Smirnova ist als eine Art derber Kolchosebäuerin vom Nil mit einem hochdrehendem Mezzoturbo gesegnet, der es in sich hat (Боже мой!). Schade nur, dass das Liebes-Aus mit Radamès vor dem ersten Ton schon besiegelt scheint, denn in dem Kleid (in Yves-Klein-Blau) sieht Smirnova aus wie eine in die Breite gegangene Leuchtstele. Und ihr Sex-Appeal erschöpft sich im Wurstbrotschmieren. Und doch steckt in dieser Amneris eine Lady Macbeth von Theben. Smirnovas wahrhaft dramatisches Organ von unmittelbarer Ausdruckskraft gehört zu den voluminösesten auf dem Mezzo-Markt. Dass sie mit der Tonhöhe Probleme hätte, wie verschiedentlich berichtet wird, höre ich überhaupt nicht. Ein Highlight die Nofretete-Mütze aus Zeitungspapier, die sich Smirnova vor lauter Liebesfrust aufsteckt. Da weiß man sofort, wer im Pharaonenhaushalt die Hosen an hat. Hoher Mezzo-Ehren wert ist ihr „Già i scaerdoti adunansi“, von enttäuschter Liebe durchzittert das Duett im vierten Akt.

Sämtliche andere Rollen hört der Zuschauer aus den Logen oder Rängen. Als baritonaler Äthiopier-Chef setzt Amonasro Francesco Landolfi erfolgreich seine männliche Duftmarke (und singt im zweiten Akt – warum? – elektronisch verstärkt), und auch der Ramfis von Ievgen Orlov kennt sich als Priesterbass mit den Gepflogenheiten der Herrschenden aus. Der kernig-autoritäre Re von Andrew Harris komplettiert die Herrscherkaste. Als Messagero überzeugt Attilio Glaser mit kantabler Vokalvehemenz, als Sacerdotessa ist die leuchtend singende Adriana Ferfezka unterwegs.

Wuschelkopf Andrea Battistoni hat die Sache am Dirigentenpult im Griff. Gerät die Einleitung tastend, aber ohne Pepp, so haben die Fanfaren Feuer, der Triumphmarsch Pfeffer, und die feinen orchestralen Gewebe, die zentrale Bestandteile der Arien und Szenen sind, lyrische Präzision oder rhythmischen Biss.

Fazit: Regiemäßig ist von Peter ein ganz heißes Eisen. Sängerisch hat das sehr hohes Niveau.


Weitere Kritiken zur Aida an der Deutschen Oper mit Serjan, Kim und Smirnova:

Maximalinvasiv“ (Hundert11 – Konzertgänger in Berlin)
Aida mit anderen Ohren gehört“ (Deutschlandfunk)
Kryptisch ägyptisch“ (Tagesspiegel)