Ich kenne keinen, der sagt: Das ist meine neunte Butterfly.
Man hört heuer in Madama Butterfly die schwarze, statuarische, vokal aufregend dominante Latonia Moore, deren Cio-Cio-San alles Mögliche ist, aber eher keine kindhaft naive 15-Jährige.
Im Duett klingt Moore, als führe sie den Pinkerton in die Liebe ein, und nicht er sie. Latonia Moore war 2021 bei OperaWire eine der elf prägenden Sänger des Jahres (zusammen u.a. mit Kaufmann, Grigorian, Radvanovsky). Da mischt sich feiner Lyrismus mit brodelnden Emotionen – definitiv keine piccola Dea della luna, keine „kleine Göttin des Mondes“, wie Butterfly sich selbst anmutig charakterisiert. Farbe und Ausdruck ihres Singens könnte Moore mehr auf den Text beziehen, insgesamt genauer singen. Un bel dì? Klangschwer im ersten Teil, Spinto-froh im zweiten (per non morir). Man hört die intensive Karriere: Bändigung des Piano, Einschwingen des Tons, Tonhöhensicherheit sind supoptimal. Sie muss eine bravouröse Aida sein.
Als Cio-Cio-San im 3. Akt die Wahrheit erkennt, denke ich einen Moment, Moore könnte Sharpless und Suzuki in einem Wutanfall zu Kleinholz schlagen.

Ich kenne nur Leute, die sagen: Das ist mein dritter Ring.
Stefan Pop stellt – fast – einen sympathischen Pinkteron dar, so jugendlich begeistert und ernsthaft verliebt tönt er im Duett des ersten Akts. Pop ist ein guter Pinkerton, wenig italienisch zwar, aber ungeachtet kleiner Disziplinlosigkeiten, etwas eigenwilliger Temponahme und einiger Sprechstrecken (bei leisen Stellen) erfrischend tenorleicht.
Oder mein achtzehnter Tristan.
Katharina Kammerloher (Suzuki) singt das monotone Auf-und-Ab des Gebets zu Beginn von Akt 2 mit Hingabe. Eine Entdeckung ist der Sharpless des Arttu Kataja, immer ernst, immer mitfühlend, besorgt, immer das Taschentuch an der schwitzenden Stirn. Eine Interpretation ohne italianità, aber mit feiner skandinavischer Porträtierungskunst. Von Frau Pinkerton (Samantha Britt) höre ich, wo ich sitze, nicht viel. Der umtriebige Goro wird von Andrés Moreno García gesungen, der würdevoll werbende Yamadori von Adam Kutny, der wütende Bonze von Grigory Shkarupa, der kaiserliche Kommissar, der die Dienste eines Standesbeamten anbietet, energisch von Žilvinas Miškinis.
Diego Matheuz folgt Puccinis Partitur fröhlich und tönt die Madama, in der viel Impressionismus und wenig Verismo ist, ziemlich bunt und ungehemmt sentimental ab.
Es ist und bleibt ein Manko bei Madame Butterfly: Dass der Zuschauer vom ersten Moment weiß, dass es nicht gutgehen kann. Bei Lohengrin ahnt und fürchtet er es nur.
Ich wollte gerade einen Kommentar unter dem letzten Blogbeitrag schreiben, aber jetzt nun hier : ich war mit meinen Söhnen auch in der Vorstellung. Was besseres kann man sich doch fürs Repertoire kaum wünschen.
Am Ende sagte ich : Ihr müßt bedenken, im 2. und 3. Akt ist sie 18. Nur kann eine 18-jährige das nicht singen.
Moore war eine überlegene Butterfly, die das Leben und seine Widrigkeiten schon längst überwunden hat :
Non lo nascondo,
né m’adonto.
Ridete? Perché?
Cose del mondo…
Sollt‘ ich’s verschweigen?
Sollt‘ mich schämen?
Ihr lächelt? Warum?
So ist das Leben.
Ganz am Ende will sie nicht mehr tanzen (das Geisha-Business hat ja schon was mit Prostitution zu tun), und jeder kann es verstehn.
Diese Frau würde ich gerne noch in etlichen Verdi-Rollen hier hören : Aida, aber vor allem Amelia, am besten mit Jonas Kaufmann in seinem Rollendebüt unter Pappano, wenn der als Chef kommt. Ist ja angeblich in der Diskussion !
Sie müßte auch eine großartige Mimi sein, besser als fast alle, die ich bisher gehört habe.
Auf jeden Fall eine große Sopranistin mit der Fähigkeit zur großen Emotion, aber auch zum leisen Piano und vielen Nuancen dazwischen.
Das konnte der Tenor nicht ganz bieten, aber er bot doch ein überzeugendes Liebesduett (gia nella notte densa oder so ähnlich), und jeder konnte verstehn, warum er sich danach die Jacke auszog. Nach der Pause hab ich zu meinen Söhnen gesagt : eigentlich sieht der Pinkerton so aus, wie auf dem Vorhang, und der ist ja auch erst Lieutenant, niedrigster Offiziersdienstgrad, also ganz jung und fesch. In den könnte man sich schon verlieben und dran glauben. Aber man kann nicht alles haben.
Der Sharpless war wirklich eine Entdeckung, wie ein Ensemblemitglied die halbe (Neben)-Rolle mit Farbe, Timbre und Ausdruck füllen kann. Einfach passend.
Heute mittag sagte mein Sohn, er hätte es lustig gefunden, wie da öfters die amerikanische Nationalhymne vorgekommen sei. Er ist ja auch US-Bürger, weil er da geboren wurde. Aber in Wirklichkeit war es damals nur die Hymne der amerikanischen Marine, und zur Nationalhymne wurde das Stück erst 1931. Und was war dann vorher die Hymne, fragten sie ? Müßt Ihr halt mal googlen.
Aus irgendeinem seltsamen Grund war es erst meine 2. Butterfly. Die letzte die Premiere mit Sinopoli, Malfitano und Dvorsky an der Deutschen. Davor habe ich die LP mit Pavarotti und Freni so lange zu Tode gehört, bis sie zerkratzt war.
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Der Stefan Pop kann sicher auch den Carlo später im Jahr gut singen. Er hat eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit Johan Botha, wobei ich nicht glaube, daß er wie der jemals Florestan oder Tristan singen wird. Aber einen Tenor mit dem Durchschlag und der Höhe muß man erstmal finden.
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Was ich nicht verstehe : warum die erste Pinkerton-Arie „dovunque al mondo, lo Yankee vagabondo“ nicht zu den großen Tenorarien gezählt wird. Weil der Unterton des ugly American zu schlecht ist ? Eigentlich ist es doch schon ein kleines „Nessun dorma“.
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Fragte mich, ob der Schlag auf den Rücken kurz vor Ende der Katharina Kammerloher weh getan hat. Die Latonia Moore bemühte sich auf jeden Fall, es wieder gut zu machen.
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War ja noch nie hier, im unemotionalen Preussen. Wo man sachlich sein soll.
Ob der Pappano sich das antun wird ? Ich glaube nicht.
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Weiß noch nicht genau, ob ich das schaffen werd‘, das scheint echt schwierig zu sein :
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Vielen Dank für die unterhaltsame Schilderung, ich hab mich sehr amüsiert.
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