Fünf knappe Akte, schmeichlerisch schöne Melodien, ein Held in bester Anti-Held-Tradition, das ist Don Quichotte, komponiert vom knapp 70-jährigen Massenet, zwei Jahre vor seinem Tod. Aber was Massenets Don Quichotte vor allem darstellt: die gute, alte Belle Époque, wie sie sang und schwelgte, nur eben aufgepeppt mit tragikomischem Pathos und tiefer Menschlichkeit.

Dafür rollt die Handlung an der Deutschen Oper so abwechslungsreich kurz wie altmodisch liebenswürdig ab (Libretto Henri Caïn).

Erst kämpft der Don mit Windmühlen, dann hält er Räubern eine Standpauke. Dem schmiegt sich die Musik Massenets meist flott, immer farbenfroh, mit souveräner Märchenheiterkeit an. Doch Achtung, hinter der leichtgeschürzten Maske der comédie hält der Komponist stets die Flamme heroischen Tiefsinns am Köcheln.

Die prickelnde Mischung also machts bei diesem späten Meisterwerk, das sich comédie-héroïque nennt.

Massenet Don Quichotte, Deutsche Oper Berlin, Maire Therese Carmack, Patrick Guetti, Misha Kiria

Verehrer des Schriftstellers Cervantes bekommen bei laufender Vorstellung mit Sicherheit einen Herzinfarkt, sobald sie sehen, dass Librettist Caïn aus der reizend-bescheidenen Dulcinée ein Flirtgeschoss und eine Dorfschönheit vorm Herrn gemacht hat. Aber man muss sagen, dass die heutige Dulcinée, die junge Amerikanerin Maire Therese Carmack, mit attraktivem Charme befülltem Schönklang aus der Mezzo-Kehle holt. Das klingt vital belebt, glaubhaft emotional, berührt, besonders bei den Ausflügen ins tiefe Register.

Mit imposanter Erscheinung (1a Figur, rührend ritterlich vom Lockenscheitel bis zur Silberschuhsohle) singt Patrick Guetti den in Liebesdingen tumben Don mit Bassschwärze und – ganz wichtig – Heldenernst. Wenn auch wenig elegant französisch und tonhöhenschwankend.

In der lustigen, sonst etwas blassen Inszenierung von Jakop Ahlbom, die ohne große Szenenwechsel auskommt, verkleiden sich die Räuber als Maikäfer, die schöne Dulcinée arbeitet im dörflichen Abhänge-Hotspot, wo García-Hinz und Rodriguez-Kunz gelangweilt Sangria schlürfen. Fabelhaft die hopsende Statisterie. Auch das leidenschaftlich mitfühlende Dickerchen (stumme Rolle) ist gut. Nur den Signatur-haft eingesetzten Riesenhänden mitsamt Riesendätz fehlt der zwingende Anschluss ans Regiekonzept.

Der spielfreudige Misha Kiria (im wellensittich-gelben Overall) stattet den Sancho Pansa, einen Meister großmäuliger Rezitative, mit Verehrung (Arie Akt 4, fabelhaft) und Trauer (Arie Akt 5) für seinen Herrn aus. Dass die Quartette der vier Liebhaber zu vokalen Leckerbissen werden, stellen Arianna Manganello (Garcias), Hye-Young Moon (Pedro), Andrew Dickinson (Rodriguez) und Dean Murphy (Juan, stark) sicher.

Kurios: Don Quichotte ist eine der wenigen Opern, deren Titelheld ein Bass und deren prima donna ein Mezzo ist. Erstaunlich, wie frei und locker der alte Massenet hier komponiert. Die Gesangs“typen“ reichen von flamboyanten Reden über sentimentale Liebeslieder bis zu Ensembles, deren Melodielinie geschwungen ist wie die Nase einer Schönen bei Watteau.

Das Witz-glitzernde Klanggewand, das Dirigent Nicholas Carter über die Partitur wirft, erstaunt durch Schönheit, Ernst und Gefühl. Gut aufgelegt liefert das Orchester diesen Massenet ans Messer. Präsent und überhaupt mit guter Leistung der Chor.

Schade, dass die Staatsoper Massenets Manon von Anno 2007, damals konzipiert als schwülstiges Netrebko-Villazón-Vehikel, nie wiederbelebt hat.