Lässt sich nach Rheingold, diesem leicht instrumentierten, Parlando-schönen Vorabend schon Genaueres über Tscherniakows Neuinszenierung des Ring des Nibelungen sagen? Ja und Nein. Offenbar platziert Dmitri Tscherniakow Wagners Tetralogie in einem Forschungsinstitut namens ESCHE. Oben herrschen die Götter als gerissene wissenschaftlich-technische Elite, im Keller schuften die Nibelungen, die gerne auch zu trüben Menschenversuchen herangezogen werden.

Das eine oder andere kennt der geneigte Zuschauer aus früheren Wagner-Welten Tscherniakows. Etwa die makellos gebauten, hell ausgeleuchteten Räume, die in Rheingold virtuos, je nach szenischem Erfordernis, nach rechts und links, nach oben und unten schweben. Die Rheintöchter sind strenge wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in Labormantel und mit Notizblock (Evelin Novak, Natalia Skrycka, Anna Lapkovskaja), ihr Necken Alberichs ist Teil eines perfiden Psycho-Experiments. Nach Nibelheim hinab fahren Wotan und Loge im Aufzug: Im untersten Keller, noch unter einem Zwischengeschoss, in dem sich Tierversuchskäfige endlos reihen, hausen in engen Büroverschlägen die Nibelungen unter Alberichs Knute als freudlose Tüftler.

Berlin Ring des Nibelungen Tcherniakov, Die Rheintöchter
Foto: Monika Rittershaus

Was Tscherniakow da präsentiert, in Seventies-Anmutung und gestisch flott aufgepeppt, ist durchaus angenehm anzusehen, zumal auch die Kostüme von Jelena Zajtsewa in schrägen Siebziger-Farben leuchten. Anderes wirkt jetztzeitig: Das Instituts-Entrée, wo trendige Bodenstrahler eine Esche ausleuchten, prangt in sehr heutigem Sichtbeton (Bühne: gleichfalls Tscherniakow).

Irgendein Germanen-Mythos mitsamt Stelldichein putziger Zwerge und planschenden Rheintöchtern findet in der Neuinszenierung jedenfalls nicht statt. Dass plötzlich Tscherniakows rot-weiß geflammte Wände das DDR-denkmalgeschützte Marmorfoyer der Humboldt-Uni zitieren, deutet erst mal nicht unbedingt auf eine spezifisch deutsche Lesart hin – doch nach Walküre, Siegfried und Götterdämmerung weiß man mehr.

So protzig-piefig das Ambiente wirkt, hier waltet Wotan als herrischer, schmieriger, nach Lust und Laune verträgebrechender Institutsleiter (Michael Volle unendlich souverän) – ist aber seit dem Warnwort Erdas sichtlich nachdenklich geworden. Ihm zur Seite singt Claudia Mahnke im schicken Kostümchen die Fricka mit schöner, aber nicht ganz ausdrucksvoller Stimme. Die Freia mimt Vida Miknevičiūtė (adrett kostümiert) als wunderbar stöckelnde Klagefigur. Johannes Martin Kränzle ist ein in Triumph und Demütigung glaubhafter Alberich, Stephan Rügamer ein versiert bewährter Mime.

Staatsoper Berlin Rheingold Richard Wagner
Foto: Monika Rittershaus

Eine Augenweide sind die Riesen als ganovige Bauunternehmerbrüder, die die Männer fürs Grobe gleich mitbringen. Mika Kares (Fasolt, in weich- und wohlkonturierter Bassespracht) ist in grünem Jacket und brombeerlila Hose die redlichere Natur, Peter Rose (Fafner, zu Beginn recht trocken) wirkt im herrlich kitschigen Ledertrenchcoat bedrohlicher. Lauri Vasar gibt einen zappeligen Donner, Siyabonga Maqungo einen belcantistischen Froh. Kritik und Buhs für Rolando Villazón als curry-gelben Loge waren vorhersehbar. Aber bis auf einige verhauene Parlandopassagen reüssiert Villazón als Hans Dampf der Wagner-Deklamation gar nicht so übel, trotz immer wieder vokal gaumigen Agierens. Monumental, aber ohne die letzte Autorität der Aussprache bleibt die Erda von Anna Kissjudit.

Dass Tscherniakow in der Nibelheimszene Wurm und Kröte nur in der Vorstellung der geknechteten Nibelungen existieren lässt, zeigt, worum es der Regie geht: alles Märchenhafte, alles Wunderbare restlos auszumerzen. So werden Gewitterzauber (Heda! Heda! Hedo!) und Regenbogenbrücke (Zur Burg führt die Brücke) zu schalen Partygimmicks: billig und witzig die Feuertricks von Donner und ausklappbar der Papierregenbogen von Froh. Konsequent. Gut.

Zur Staatskapelle Berlin und Christian Thielemanns Dirigat, das erstaunlich ausgewogen, romantisch üppig gerundet, dynamisch feinst aufgefächert und bisweilen so kammermusikalisch durchdrungen klingt, dass ich an Schönbergs Kammersymphonien denke, morgen anlässlich von Die Walküre mehr.


Weitere Premierenkritik: „Keine Goldberge aufgeschichtet“ (Volker Blech), „Stringenter, strenger“ (Maria Ossowski), „Tcherniakov enttäuscht“ (Frederik Hanssen), „Mit ausgeleuchteter Weltesche“ (André Sokolowski)