Janáčeks Oper Die Sache Makropulos ist von der seltsamen, rätselhaften Sorte – und nebenbei ziemlich witzig. Jedenfalls in der detailgenauen Inszenierung von Claus Guth, die ich 2 Wochen nach der Premiere noch einmal sehe. Seltsam, ja absonderlich gestaltet sich die Hauptfigur, die mehrere Jahrhunderte alte Schönheit Emilia Marty (Marlis Petersen). Die Figur ist ein Geniestreich von Janáček. Erschöpft von allzu vielen Lebensjahrzehnten, hält die Opern-Diva Martyonz ihre Umgebung mit spitzer Zunge auf Trab, bis sie sich gegen das lebensverlängernde Elixier und für den Tod entscheidet. Die Sache Makropulos dürfte eine der ersten Opern sein, in der telefoniert und in der ein Auto erwähnt wird. Schon eher alte Opernschule ist da die Aufteilung in drei Akte samt fünfminütigen, Ouvertüre-ähnlichen Vorspiels.

Und auch manche Figur zählt zum vertrauten Opernpersonal: der Buffa-Alte Hauk und das „niedere“ Paar Kristina-Janek (Spencer Britten, prima als blutjunger Tollpatsch). Claus Guth kontrastiert einen klinisch weißen Leerraum, Sinnbild öde blendender Ewigkeit, mit Milieu-genauen Interieurs aus dem Zwanziger-Jahre-Prag. Guth verstärkt die Buffa-Elemente, indem er eine kleine Tänzertruppe sich automatenhaft und durchaus pläsierlich durch die Szene zucken lässt.

Emilia Marty gleicht einem Fliegenden Holländer des 20. Jahrhunderts. Sie wird getrieben von einem grausamen Schicksal last-, nicht lustvoller Unsterblichkeit. Und der letzte Akt löst wie ein klassischer Krimi das Rätsel um Martys Langlebigkeit. Brillante Dialoge geben Janáčeks unergründlichem Meisterwerk eine zusätzliche Tiefe. Noch schöner ist, dass Guths geduldiges Regie-Auge die Nebenfiguren als attraktive Nebenhandlungsträger entdeckt, sei’s die schwärmerisch die Marty verehrende Sängerin Kristina (warm- und schönstimmig Natalia Skrycka), sei’s der etwas schlichte Hausmeister (Žilvinas Miškinis) und der liebestoll verrückte Hauk-Šendorf, der immer wieder aus der Anstalt ausbüchst (Jan Ježek).

Umwerfend die Stelle, wo Marty den Hauk wie einen Zechkumpan begrüßt: Buenos dìas, Maxi. Jan Martiník (Kolenatý) würzt die gediegene Anwaltswürde mit einer Prise theatralischer Selbstgefälligkeit. Zuletzt entlässt das Libretto die unsterblichkeitsmüde Heldin ins selbstgewählte Sterben-Dürfen. Mit kahlem Greisenkopf wird sie wieder Mensch. Tod nicht als Erlösung von der Tonnenlast des Lebens wie bei Wagner, sondern Tod als Erlösung von der Tonnenlast der Ewigkeit – was quasi als tschechische Variante eines opernspezifischen Erlösungsstrebens gelten darf.

Selbstverständlich ist diese kantabel verdichtete Parlando-Oper nicht immer leicht zu hören. Doch die Musik ist zauberhaft und leistet sich sogar ein ganz und gar hymnisch aufschwingendes Finale.

Treppenbild mit Pilaster

Simon Rattle spannt Janáčeks Mikrogestik denn auch in einen energischen Musizierstrom. Es gibt Dirigate, die Details stärker herausstellen. Doch Drama, Vorwärtsdrängen und ein unbändiges Leuchten der Partitur sind in jedem Moment da. Die Staatskapelle bringt dunkel pastosen Klang ein. Heute Abend ist das Blech nicht genau (und das Orchester etwas schludriger). Der famose Ludovit Ludha (als verliebter Erbanwärter Albert Gregor) klingt für mich etwas flacher als an der Premiere.

Noch einmal am Sonntag um 18 Uhr.


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